Muss es ein echtes Klavier sein? Reicht nicht ein Keyboard oder E-Piano?

Die Entwicklung des Menschen – wurde von der Kultur ermöglicht!

Die Frage, ob Sie für Ihr Kind in ein richtiges Klavier investieren sollen, oder ob es reicht, wenn Sie Ihrem Kind ein Keyboard oder E-Piano kaufen, ist eine Frage der Kultur. Die Antwort lässt sich aus der Distanz heraus erst einmal recht einfach veranschaulichen:

Können Sie sich ein klassisches Klavierkonzert in einer großen Halle mit einem berühmten Pianisten an einem Keyboard oder E-Piano vorstellen?

Ihre Antwort lautet Nein, Sie können es sich nicht vorstellen. Doch Sie wenden ein:

Aber könnte ein Keyboard zum Anfang nicht trotzdem ausreichen, wenn ich mir dabei gleichzeitig die Ausgaben für

  • den aufwendigen Klaviertransport,
  • das jährliche Stimmen (das je nach Region zwischen 70.- und 100.- Euro kostet) sowie
  • den vergleichsweise höheren Preis für ein Klavier

sparen könnte? Schließlich geht es ja nicht darum, wie wir einen Konzertsaal optimal ausstatten, sondern wir sind an der pädagogisch sinnvollen Gestaltung der Entwicklung unseres Nachwuchses interessiert. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wodurch gewinnt eine Investition an Nachhaltigkeit?

Sparen – an der Qualität des Klangs sowie an der Spielfreude!

Das stimmt schon, dass man sich Ausgaben sparen könnte. Daher bin ich der Meinung, dass wir uns eine Investition auch ganz genau ansehen sollten. Tatsächlich steht dem möglichen Risiko eines Verlusts die wahrscheinliche Option auf einen Gewinn gegenüber. In diesem Spannungsfeld müssen Sie sich mit Ihrer Investition positionieren. Wie sind Sie tendenziell veranlagt? Motivieren Sie mehr die Chancen? Oder versuchen Sie grundsätzlich die Risiken zu vermeiden?

Im Transfer von der Theorie des Risiko-Chancen-Vergleichs einer Investition in die Praxis des Musizierens können Sie konkret am Klang sowie an der Spielfreude sparen – und damit ist ziemlich sicher, dass sich Ihr Kind nicht lange mit dem Keyboard oder E-Piano beschäftigen wird. Denn alle digitalen Klangquellen bieten unseren Ohren einen geringeren Hör-Reiz als ein akustisches Instrument mit einem natürlichen Klangkörper. Inzwischen ist ja allgemein bekannt, dass die digitalen Speicherformen wie MP3 oder CD im Vergleich zur analogen Schallplatte ein geringeres Klangspektrum bieten. Aufgrund einer Rückbesinnung auf Qualität und somit auf den guten Klang erlebt die Schallplatte aktuell eine Renaissance (Wiedergeburt). Auf das Klavierspiel bezogen definiert sich Spiel-Freude aus der Kombination der emotional bestimmten Eigenschaften von Hör-Lust und Spiel-Gefühl...

Spiel-Gefühl als Basis der Spielart

Das Spiel-Gefühl unterscheidet sich zwischen einem echten Klavier und einem Keyboard oder E-Piano erheblich. Denn bei einem Klavier überwindet man natürliche Widerstände im gewohnten Feld der Schwerkraft. Die Gewohnheit des bereits bekannten Umfelds lässt mich am Klavier wohler fühlen, als wenn ich am Keyboard unbekannte Widerstände überwinden muss, die meinem Innersten widerstreben. Denn beim Keyboard und E-Piano wird die Taste gegen eine Federkraft herunter gedrückt. Anders als beim Anheben eines Gewichts gegen die Schwerkraft erhöht sich aber bei einer Feder der Gegendruck zum Ende der Bewegung hin, da die Feder ja immer stärker gebogen wird, je mehr ich sie zusammendrücke. Warum hat man sich am Keyboard für die Feder als Kraftquelle entschieden?

Das einzige Keyboard mit der Spielart eines Klaviers: Das Silent-Piano

Die Feder hat sich am Keyboard und E-Piano als Kraftquelle angeboten, da bei diesen Versionen eines Tasteninstruments am Ende der Taste das Gewicht der Spielmechanik fehlt. Wenn man stattdessen eine Feder beim Herunterdrücken der Taste zusammendrückt, sorgt die so gespannte Feder beim Loslassen der Taste dafür, dass die Taste wieder in die Ausgangsposition gelangt. Beim Klavier hingegen werden die Tasten ausgewogen und zusätzlich zu dem Gewicht der Klaviermechanik am Ende der Taste mit kleinen Gewichten versehen, so dass die Taste nach dem Loslassen mittels der Anziehungskraft der Schwerkraft zurückfällt. Das einzige Keyboard mit der Spielart eines Klavier und somit einem authentischen Spiel-Gefühl ist übrigens das so genannte Silent-Piano. Beim Silent-Piano handelt es sich um einen Kombination aus einem „echten“ akustischen Klavier und einem Keyboard. Zum Beispiel nach 22 Uhr kann ich das akustische Piano „stumm schalten“. Gleichzeitig wird unter den Tasten die elektronische Klangerzeugung aktiviert und so kann ich nun für meine Umgebung unhörbar mittels Kopfhörer weiter musizieren. Bei diesem Spezialfall eines Keyboards wird zwar verhindert, dass bei der Stummschaltung die Klavierhämmer gegen die Saiten schlagen. Aber auch bei ausgeschalteter Akustik wird weiterhin die Mechanik des Klaviers am Ende der Taste mitbewegt. So entwickelte man zufällig das einzige Keyboard mit der Spielart eines Klaviers. Vielleicht fragen Sie jetzt: Sind denn die Spielart und damit verbunden das Spiel-Gefühl wirklich so wichtig?

Die Folgen aus der Bewertung der Spielart: Das Hybrid-Piano

Diese Erkenntnis ist so wichtig und weitreichend, dass man nun einen Schritt weiter gegangen ist. Denn eine noch bessere Spielart als ein Klavier besitzt der Flügel. Aufgrund der liegenden Position werden die mechanischen Abläufe von der Schwerkraft besser unterstützt. Aber ein Flügel erfordert auch mehr Platz als ein Klavier und ist außerdem teurer.

Daher bieten Seiler (Kitzingen) seit 1987 aus der Kategorie der so genannten Hybrid-Pianos die Innovation DuoVox-Plus sowie Yamaha seit 2009 das Modell namens AvantGrand an.

Die Konstrukteure dieser Varianten eines Hybrid-Pianos kombinierten eine den neuen Bedingungen angepasste Flügelmechanik mit einem digitalen Klangerzeugungssystem. Seiler hat in den DuoVox-Plus sogar schon

integriert und somit an ganzes Füllhorn an Mehr-Wert-Möglichkeiten angeboten.

Die Kombination aus einer Flügelmechanik mit einem elektronischen System zur Klangerzeugung ist hinsichtlich des Spiel-Gefühls eine interessante Variante. Jedoch ist es eben nicht der authentische Klang eines echten Klaviers mit einem natürlichen Klangkörper. Meiner Ansicht nach enthält das Thema Hybrid-Piano dennoch ein Mehr-Wert-Potenzial für Klavierspieler, da es sich dazu nutzen lässt, mit dem Klavier noch kreativer umzugehen. Konkret werden die Möglichkeiten des Klavier spielen Lernens erweitert. Darüber hinaus öffnet eine entsprechend umfassend angelegte Version dieses Musik-Werkzeugs den Zugang zu zeitgemäßen Formen des aktuell bedeutsam werdenden Komponierens von eigenen Werken.

Falls Sie nun nicht mehr warten wollen, sondern zum Sofortkauf eines Klaviers neigen, bleibt die Frage: Muss es ein neues Instrument sein oder genügt ein gebrauchtes Klavier?

Klaviere neu und gebraucht

Klaviere müssen nicht teuer sein. Aktuell berichten die deutschen Klavierbauer von einem massiven Umsatzrückgang. Aber das betrifft vor allem die fabrikneuen und gleichzeitig teuren Klaviere aus Deutschland. Denn die Klavierhändler machen die Hälfte ihres Umsatzes bereits mit gebrauchten und hier häufig mit zwar gebrauchten aber vor dem Wiederverkauf generalüberholten Instrumenten. Aufgrund des neu entstandenen Konkurrenzmarktes der gebrauchten Klaviere bieten die Klavierhersteller aus Deutschland als Zweit- und Drittmarken preisgünstige Alternativen zu den hauseigenen Produkten an. Diese so genannten Einsteiger-Klaviere werden in der Regel in China produziert. Die Händler, die sich schon längst auf gebrauchte Instrumente konzentriert haben, gewinnen aktuell an Bedeutung. Selbstverständlich kann man auch direkt von Privatpersonen günstig gebrauchte Pianos erstehen. In diesem Fall nehmen Sie besser einen vom Verkauf unabhängigen Klavierbauer mit, um den Zustand des Instruments vor dem Kauf zu prüfen. Schließlich bewegt Sie ja die berechtigte Frage, wie Sie die Rendite Ihrer Investition optimieren können.

Lernen unter optimalen Bedingungen, damit Lernen zur positiven Erfahrung wird!

Wenn Sie also ein echtes Klavier gefunden haben, dann kann Ihr Kind gleich unter optimalen Bedingungen das Klavier spielen lernen. Denn falls es zuerst Keyboard lernt, hat es später einmal das Problem beim Umstieg: Die Spielart ist beim Klavier meistens etwas schwerer. Denn am Ende der Taste eines Klaviers lastet die Physik der Klaviermechanik im Schwerefeld der Erde.

Im Gegensatz dazu befindet sich am Ende der Taste eines Keyboards nichts, da man an diesem Instrument zur Erzeugung des Klangs nur elektrische Kontakte zu schließen braucht. Lediglich die Taste muss sich gegen die Schwerkraft wieder nach oben bewegen. Zu diesem Zweck nutzt man die Federkraft, die sich jedoch hinsichtlich der Überwindung der Schwerkraft von Gewichten grundsätzlich unterscheidet.

Daher versucht z.B. ein Hersteller wie Yamaha, der sowohl Klaviere als auch Keyboards, E-Pianos und Hybrid-Pianos produziert, den Anschlag seiner KLAVIERE so leicht wie möglich zu machen, um später einen möglichen Wechsel vom Keyboard zum Klavier zu erleichtern. Mit anderen Worten: Als weltgrößter Hersteller von Klavieren und Flügeln erwartet Yamaha aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen in diesen Geschäftsbereichen, dass die Keyboardspieler später entweder zu dem kulturell höherwertigen Klavier wechseln oder mit dem Keyboard spielen aufhören. Ganz im Sinne eines effektiven Marketings versucht Yamaha daher, die bereits gewonnenen Kunden durch entsprechend angepasste Angebote zu halten. Ein Schlusswort zum Spielen eines Tasteninstruments:

Potenzial-Entfaltung anstelle der bisherigen Ressourcen-Ausnutzung

Worauf wir aktuell großen Wert legen sollten, ist die Qualität der Ausbildung unserer Kinder, die eine Entfaltung der Potenziale unseres Nachwuchses erlaubt. Hier ist die so genannte „Motorische Intelligenz“ hervorzuheben. Denn in der Evolution hat sich zuerst die Motorische Intelligenz entwickelt, die es später ermöglichte, dass wir denken und sprechen lernten. Bei annähernd gleichen genetischen Material zwischen Affen und Menschen hat sich das Denken und Sprechen beim Menschen in einer Zeitspanne entwickelt, die zu kurz ist, als dass sich diese Fähigkeiten über die so genannte „natürliche Selektion“ der Gene hätten entwickeln können. Die Kultur, also der Umgang, das Miteinander in der Gruppe der Menschen, waren der Grund für die rasante Entwicklung der höheren geistigen Fähigkeiten (Literatur: Die Kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Autor: Michael Tomasello. Verlag: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft).

Die Motorische Intelligenz als Schlüssel zur geistigen Intelligenz

Über das 10-Finger-Spiel an einem Tasteninstrument lässt sich die Motorische Intelligenz hervorragend fördern. Denn über spezielle Nervenbahnen sind vor allem zwei Bereiche beim Menschen direkt mit dem motorischen Zentrum verbunden: Die Gesichtsregion, die für Mimik und Sprache zuständig ist, sowie die Finger, die es ermöglichen, dass wir unser Umfeld so präzise manipulieren können. Aber wie beeinflusst die Motorik unseren Geist?

Handlungsplanung im Sprachzentrum

Grundsätzlich fördert das Musizieren die Handlungsplanung. Die Aneinanderreihung mehrerer Handlungsschritte erfordert eine Planung, die man Bewegungsvorausnahme (Antizipation) nennt. Diese Fähigkeit der zeitlichen Aneinanderreihung von Planungsschritten war die Voraussetzung für die Entwicklung der Sprache (Weitere Erläuterungen: Vortrag "Selbst und Identität aus Neurobiologischer Sicht" von Professor Gerhard Roth 2002 auf den Lindauer Psychotherapie Wochen aufgezeichnet von Auditorium Netzwerk). Daher ist dieser Teil der Handlungsplanung auch im Sprachzentrum des Menschen angesiedelt. Das heißt, wer sich mit dem Musizieren beschäftigt, trainiert quasi nebenbei sein Sprachzentrum. Auf unseren Nachwuchs bezogen erklärt sich so, warum sich das Musizieren positiv auf eine ganze Reihe von anderen Schulfächern auswirkt. Wie organisiert unsere Motorik Bewegungen?

Spiegelneurone – von der Evolution entwickelt für Lernen und Mitgefühl

Dieser Rückschluss betrifft jedoch nicht automatisch das passive Hören von Musik. Denn das passive Hören von Musik bekommt erst für jene eine stärkere Wirkung, die auch Musizieren. Bei Musikern werden wie beim Mentalen Training im Sport parallel zum Hören von Musik jene Muskeln aktiviert, die am Spiel ähnlicher Melodien und Rhythmen beteiligt sind. Die passive Aktivierung wird über die so genannten Spiegelneurone ermöglicht, die beim Menschen genau genommen Empathie-Neurone sind. Diese spezialisierten Nervengruppen sind von der Natur in uns angelegt und verantwortlich dafür, dass kleine Kinder nachahmend und somit ganz einfach lernen können. Ferner sind die Empathieneurone die Basis unseres Mitgefühls (Literatur: Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls. Autoren: Giacomo Rizzollati und Corrado Sinigaglia. Verlag: Edition Unseld).

Heute ist es im Miteinander wichtig, sich mit den Erkenntnissen unserer Zeit Gedanken zu machen, wie man die Potenziale der Kinder am besten entfalten kann. Dabei geht es um Kultur, die darin besteht, bereits errungene Erkenntnisse der nachfolgenden Generation zugänglich zu machen. Diesbezüglich sind wir aktuell ganz besonders gefordert. Denn wir hinterlassen immer mehr ungelöste Probleme. Was unser Nachwuchs vor allem benötigt, ist die so genannte Problemlösungskompetenz. Um diese ausbilden zu können, ist es sinnvoll und notwendig, das ganze Potenzial an Kreativität zu entfalten. Hier kann die MUSIK im wahrsten Sinne des Wortes eine für die positive Entwicklung unserer Kinder und Enkelkinder zentrale Rolle SPIELEN. Im Sinne der maximalen Potenzialentfaltung genügt es aber nicht, wenn wir uns massenweise perfekte menschliche Musikautomaten heranziehen, wie das aktuell in Asien der Fall zu sein scheint. Wir müssen unbedingt wieder den Zugang zu den höheren Fähigkeiten des Komponierens und damit verbunden des Improvisierens öffnen.

Zum Seitenanfang Zurück zur Themenübersicht der Fragen