Der deutsche Klavierbau bietet seinen Kunden etwas. Zu diesem Eindruck kommt man, wenn man als Klavierspieler von den Steinway-Tagen an deutschen Musikhochschulen hört. Denn dort wird einem mehr als nur ein Klavierkonzert geboten. Das betont die Firma Steinway als Veranstalter ausdrücklich. Am Beispiel des von Steinway genehmigten Nachbaus des berühmten ersten Flügels von Heinrich Engelhard Steinweg aus dem Jahr 1936, dem Flügel Nr. 1, bekommt man Vergleichsmöglichkeiten geboten. Der Vertreter des Premiumherstellers ist zu Recht stolz auf das Erbe. Der hohe Respekt gegenüber dem 1851 in die USA emigrierten und dort erfolgreich integrierten Henry E. Steinway drückt sich in dem geringen Grad der Veränderung aus, den die heutigen Instrumente im Vergleich zu den Ausgangsmodellen erfahren haben.
Tatsächlich befindet sich die Klavierkonstruktion im Wesentlichen auf dem Entwicklungsstand von 1870. Das zeigt beeindruckend, mit welchem Elan die Meister des Klavierbaus wie Thürmer, Steinweg, Blüthner, Seiler, Zimmermann, Feurich, Bechstein, Pfeiffer, Förster, etc. Mitte 1800 das Pianoforte entwickelt haben. Aufgrund der hohen Qualität dieser Instrumente werden heute noch zahlreiche Klaviere ohne Reparaturen und Generalüberholungen gespielt, die älter als 100 Jahre sind!
Der Klavierbau erlebte seine Hochzeit mit der Industrialisierung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Bereits Anfang 1900 war das Klavier ein Produkt der Massenproduktion, denn das Piano war ein Bestseller. Steinway ist dank seines aktiven Marketings zum Premiumhersteller von Flügeln aufgestiegen. Doch was hat Steinway heute eigentlich noch mit dem Familienbetrieb zu tun, der einst aus Deutschland nach USA ausgewandert ist?
Wie so häufig bei Familienunternehmen teilten sich die Söhne die Geschäftsbereiche nach ihren Talenten auf. William galt als Marketing-Genie, der die Steinway-Hall als Konzertsaal und somit einen Vorgriff auf den erlebnisorientierten Verkauf gründete. Ferner rief er die Concert & Artist-Abteilung ins Leben. Teil dieser Maßnahme sind z.B. die bereits angesprochenen Steinway-Tage an deutschen Hochschulen, über die man den akademischen Nachwuchs auf die eigenen Produkte aufmerksam macht. Mit dieser Strategie der bevorzugten Künstlerbetreuung lässt sich der durchschlagende Marketing-Erfolg von Steinway begründen! William dachte bereits global, als er in Hamburg eine zweite Produktionsstätte bauen lies, um die europäischen Kunden direkt bedienen zu können. Mit diesem Standort konnte man sich gegenüber der Konkurrenz aus Deutschland erfolgreicher durchsetzen als aus dem fernen Amerika, was offensichtlich überaus gut gelungen ist. Sein Bruder Theodore war dagegen der Klavierbauer, der sich damals zum Beispiel um den Rat des Physikers Hermann von Helmholtz bemühte, um die Produktpalette zu optimieren.
Doch bereits 1960 versäumte man es, in die eigenen Produktionsstätten zu investieren. Folglich konnte man nicht mehr mit ausreichendem Gewinn produzieren. Es kam zum Verkauf der Firma. 1995 fusionierte Steinway & Sons unter Führung einer Holdinggesellschaft mit The Selmer Company zum größten Musikinstrumentenhersteller in USA. The Selmer Company besitzt die Namensrechte aller ehemals traditioneller amerikanischer Hersteller von Blech- und Holzblasinstrumenten. Seit 1996 wird die neue Firma an der New Yorker Börse unter Ludwig van Beethoven (LVB) geführt.
Wenn man sich nun einmal die Informationen der New Yorker Börse über LVB ansieht, dann findet man schnell einen Analystenvergleich zwischen Steinway, Kawai, Kimball und Yamaha. Die beiden japanischen Produzenten Kawai und Yamaha sind sicherlich weitgehend bekannt. Aber wer ist Kimball? Kimball ist ein amerikanisches Unternehmen, das von 1966 bis 2002 Eigentümer von Bösendorfer und verantwortlich für schlechtere Qualität sowie gleichzeitig für die gestiegenen Preise bei dem Klavierbauer aus Österreich war.
Die Quelle an der New Yorker Börse verrät ferner, dass der koreanische Konzern Samick einer der wichtigsten Anteilseigner bei Steinway ist. Samick wurde in Deutschland von Bechstein werbewirksam als vorübergehender Inhaber der Aktienmehrheit eingeführt, bevor sich Bechstein eines besseren besann und Aktien zurückgekauft hat. Samick wurde kurz darauf zum Retter für Seiler (Kitzingen), die zum Teil wie Bösendorfer von den zusammenbrechenden Märkten in Osteuropa betroffen waren. Inzwischen verdichten sich die Hinweise, dass der Konzern aus Korea Steinway übernehmen will. Diesem angeblichen Übernahmeversuch folgte eine zumindest scheinbare Abwehrschlacht. Doch am 31.12.2012 erfuhr die Welt, dass Steinway seine Selbstverkaufspläne aufgibt. Diese Top-Nachricht wird durch weitere Negativ-Nachrichten des Premiumherstellers bestätigt. Denn in der Schweiz steht Steinway unter dem schweren Verdacht illegaler Absprachen mit den Schweizer Händlern. Und selbst aus USA werden schlechte Nachrichten vermeldet, denn die Steinway-Hall in New York wird verkauft.
Die Firma Steinway & Sons wurde 1853 in USA gegründet und ist somit von Anfang an lediglich ein amerikanisches Unternehmen mit deutschen Wurzeln gewesen. Das ignoriert jedoch unsere Presse. Regelmäßig wird mit Begeisterung von den Steinway-Instrumenten geschwärmt, während vor allem die Vergleichsobjekte aus Japan negativ dargestellt werden. So kann man noch Ende 2012 in der deutschen Presse lesen, dass die teuersten Flügel der Welt aus Hamburg kommen und... (folglich) deutsche Instrumente sind. Mir stellt sich bei der Gelegenheit die Frage, warum nicht die deutschen Klavierhersteller durch die Musikhochschulen unseres Landes touren, um den akademischen Nachwuchs aktiv zu umwerben? Wie wollen die deutschen Klavierbauer aus der Krise kommen, wenn sie nicht einmal imstande sind, erfolgreiche Konzepte zu übernehmen?
Krise? Wer bis heute als Klavierhersteller in Deutschland überlebt hat, der folgt dem Prinzip Hoffnung: Man hofft darauf, dass die neuen Märkte in China das ausgleichen werden, was die gesättigten Märkte in Europa nicht mehr hergeben. Pech für Europa. Denn das heißt im Klartext, dass man sich um diese Märkte gar nicht mehr bemühen wird:
Nein, man verkauft erst mal jene Produkte nach China, die eben wegen der verloren gegangenen Werte konkret des einst erreichten Wohlklangs vor allem in Deutschland vergleichsweise bescheiden nachgefragt werden. Denn die Statistik für Deutschland ergab für 2011 den Verkauf von nur 13.000 neuen Klavieren. Mehr als dreimal so viele gebrauchte Klaviere wurden in Deutschland im gleichen Zeitraum gehandelt. Das Klavierspiel hat in Deutschland auf jeden Fall keine Krise! Mit dem Verlust ursprünglicher Qualität verbunden ist ein exorbitant gestiegener Preis für Klaviere und Flügel vor allem aus deutscher Produktion. Diesen kann man in Europa aber nicht mehr problemlos am Markt positionieren, da sich glücklicherweise Wesentliches geändert hat. Kultur reduziert sich nicht mehr auf ein Differenzierungsmerkmal gegenüber anderen. Gerade die aktive Kultur des Musizierens ist zu einem Teil unserer Lebens-Kultur und somit gewissermaßen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Daher erwarten wir inzwischen von den Kultur-Werkzeugen Funktionalität sowie bezahlbare Preise. Das Musizieren ist kein Statussymbol mehr, sondern es erfüllt für die Menschen die wesentliche Funktion der Selbstharmonisierung. Das Profil des europäischen Kunden ist von einer Verlagerung weg von der Außen- hin zur Innenorientierung geprägt, die unseren Markt wesentlich von dem aktuellen chinesischen Markt unterscheidet.
Die Hersteller müssten sich also an das neue Kundenprofil anpassen. Stattdessen liest man von Schuldzuweisungen, die das Finden der richtigen Strategie verhindern. Folglich stagniert die Nachfrage an neuen Produkten in Europa und die Hersteller weichen auf asiatische Wachstumsmärkte aus. Tatsächlich müssen wir uns selbst dahingehend hinterfragen, ob es zutrifft, dass wir mittlerweile häufiger preis- anstelle qualitätsbewusst einkaufen. Denn so lautet die Selbst-Schutz-Argumentation der Klavierhersteller, dass die Klavierspieler schlicht das billigere Produkt vorziehen würden, wenn sie ein gebrauchtes Piano anstelle eines neuen Klaviers kaufen. Dabei bedienen fast alle renommierten Klaviermarken genau diesen Trend zum preisgünstigen Instrument mit Zweit- und Drittmarken hergestellt in Asien. Die Krise der Klavierproduktion ist das Ergebnis eines kontinuierlichen Abbaus an Qualität zu Gunsten der Gewinnmaximierung. Dieses Führungsmodell wird immer dann praktiziert, wenn es an dem guten Geist mangelt, sich um Mehr-Wert zu bemühen. Darin drückt sich letztendlich eine katastrophale Kundenorientierung aus. Denn wie schon erwähnt, führt keine der beteiligten Parteien einen Wettbewerb um den Kunden und nirgends in der Klavierwelt wird der Kunde mit faszinierenden und gleichzeitig bezahlbaren Innovationen zum Kauf verführt − außer in Verbindung mit integrierter Elektronik, die bislang die Leistungen des Mehr-Werts scheinbar dominiert. Bis vor kurzem war die Ansicht richtig, dass der Anspruch der Elektronik auf das Erzeugen eines Mehr-Werts nur scheinbar besteht, da die Elektronik bei den Werte-bewussten Musikern heute immer noch den Status eines klanglichen Minder-Werts im Vergleich zu akustischen Musikinstrumenten besitzt. Interessant ist die Tatsache, dass der Klang als ein offensichtlich wesentlicher Wert eingestuft wird. Der Klang streichelt ja bekanntlich die Seele − und dieser Satz enthält die gesamte innenorientierte Prägnanz des Profils eines musiksensiblen Menschen.
Aktualisierung Mai 2016: Manchen mag die neue Einsicht erschrecken, dass der Computer als Leistungsgrundlage für die Qualität der digitalen Sounds inzwischen so stark geworden ist, der Unterschied zwischen dem echten akustischen und dem künstlichen digitalen Klang kaum noch wahrnehmbar ist. Sich den nächsten Entwicklungsschritt vorzustellen, erfordert keine großen geistigen Leistungen mehr: Die Computer werden noch leistungsfähiger und nun bekomme ich einen Supersound jedoch mit mehr Mögllichkeiten, als mir die akustischen Instrumente bislang bieten konnten. Sucht man nach der Begründung, warum sich (2016) die Selbstverkäufe der Klavierhersteller aus Deutschland sowie im Fall von Steinway aus den USA derart massiv häufen, so könnte es sein, dass die Klavierhersteller eine ähnliche Wissensgrundlage und aufgrund dessen den Glauben an eine Zukunft schon aufgegeben haben. Das darf man natürlich niemanden erzählen. Denn es wäre kontraproduktiv für den im Selbstverkauf zu erringenden Preis sowie das endgültige Aus auf dem freien Markt.
Aus der Sicht der Hersteller ist es von den Kunden geradezu unverschämt, dass die potenziellen Käufer nicht weiterhin bereit sind, diese Gewinnoptimierung durch Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer mit dem zunehmenden Verlust an Qualität kritiklos zu finanzieren, sondern sich aufgrund einer immer stärker werdenden Sehnsucht nach der ursprünglichen Qualität von Omas Pianoforte neu orientieren. Da die Orientierung der Kunden seltsamerweise rückwärts anstelle vorwärts gerichtet zu sein scheint, sind sich die Hersteller akustischer wie elektronischer Tasteninstrumente in dieser Haltung bzw. Einstellung gegenüber ihren Kunden einig. Wenn die Klavierbauer uns Klavierspielern etwas zu bieten haben, das einen Mehr-Wert verspricht, warum bewirbt man dann dieses Produkt nicht entsprechend? Werbung als ein Ausweg aus der Krise? Natürlich, denn auch Geiz ist geil ist nichts als Werbung, wenn auch eine gefährliche Form der Manipulation, da sie unsere kulturellen Werte angreift. Selbst die asiatischen Billiglohnländer wissen heute, dass lediglich eine billigere Produktion keine dauerhafte Lösung ist. Vor allem aber ist billig keine Alternative zur Innovation. Das ist den Chinesen bewusst, wenn sie heute sagen, sie müssten innovativ werden, um dauerhaft einen höheren Preis erzielen zu können. Eine ähnliche Aussage vermisse ich in Deutschland. Handelt es sich also doch um eine Krise des Geistes, der Einstellung, in der nicht nur die Klavierhersteller gefangen sind? Oder endet aktuell eine Trauermelodie, die mit der massiven Förderung der Verbreitung des Radios durch die Nationalsozialisten begann? Damals kam es erstmals nach der Hochzeit des Klavierbaus um 1900 zu Rückgängen im Umsatz der Klavierproduzenten. Seitdem hat sich kein Klavierhersteller gegen den Trend gestemmt oder gar versucht, die Richtung des Trends zu beeinflussen. Man ist vielmehr bereitwillig jedem Trend wie eben Geiz ist geil als Begründung für die Billigklaviere gefolgt. Von dieser Kritik kann man nur die Japaner ausnehmen. Yamaha und Kawai bemühen sich aktiv und intensiv um die Entwicklung der neuen Kategorie im Klavierbau, dem Hybrid-Piano. Doch wie schon in dem letzten Abschnitt angedeutet, könnte es sein, dass dies nur eine kurze Übergangsstufe in die endgültige Digitalisierung ist. Eigentlich müsste man erwarten, dass all diese großartigen Klavierbauer wie z.B. Bechstein, die in den vergangenen Jahren so selbstbewusst behauptet haben, dass es unmöglich wäre, die Qualität deutscher Klavierbaukunst zu kopieren, um das Erbe und die eigene Kultur kämpfen müssten. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Das ist der traurige Ist-Stand des Klavier-Marketings.
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