Hörbeispiele

Die Wohlfühlstimmung

Beim Kundendienst für Klavierspieler tauchen immer wieder die folgenden Fragen auf:

  • Wie erreicht man eine harmonisierende sowie emotionalisierende Stimmung bei Spielern und Zuhörern?
  • Genügt es, sich auf die Technik des Klavierstimmens zu konzentrieren?
  • Oder muss ich vielmehr wissen, wodurch eine Wohlfühlstimmung ausgelöst wird?

Die Beschreibung und Einordnung der Kriterien der Klavierstimmung bieten eine gute Orientierung. Es sind erste Schritte auf dem Weg zum Ziel. Das Ziel ist die Wirkung der Musik. Die einzelnen Aspekte der Musik erzeugen Emergenz.

Ähnlich ist es bei der Klavierstimmung. Das hohe Ziel der Wirkung einer Wohlfühlstimmung kann nur erreicht werden, wenn man über die einzelnen Kriterien hinaus den Zusammenhang sieht. Das Wohlgefühl wird nicht nur durch Störungsfreiheit sondern darüber hinaus durch ein Übererfüllen der Erwartungen sowie durch die Emergenz aus verschiedenen Komponenten erreicht. Wohlklangund Spielart sind zusätzlich zur Art und Präzision der Stimmung wesentliche Fortschritte unserer Musikkultur:

  • Die aktuelle Gleichtemperierte Stimmung konnte sich dank der verbesserten Stimmbarkeit der Klaviere sowie der exakteren Stimmtechnik Ende des 19. Jahrhunderts durchsetzen.
  • Der heute selbstverständliche Wohlklang des Pianos entstand 1826 durch ein Patent von Henri Pape, das es ermöglichte, Filz über die Holzkerne der Klavierhämmer zu spannen, die bis dahin noch beledert waren.
  • Die Spielart wurde durch die Repetitionsmechanik von Sebastian Erard 1823 auf eine technisch ausgezeichnete Basis gestellt. Zu dieser Zeit musste der Vater von Clara Schumann, der Ehefrau des Komponisten Robert Schumann, die Konzertflügel vor Ort nicht nur stimmen sondern teilweise auch noch reparieren, da die Spieltechnik der Klaviere in einem hohen Maß fehleranfällig war. Diese Problematik führte dazu, dass man mit einen eigenen Flügel auf Konzertreise ging. Und als Clara Schumann von Erard ein Tafelklavier mit der damals neuen Klaviermechanik bekam, war das für die renommierte Pianistin ein großer Fortschritt.
  • Im Rahmen eines Klavierkonzerts das Repertoire auswendig zu spielen, war eines der bemerkenswerten Markenzeichen der Pianistin Clara Schumann, das sie 1832 erfolgreich eingeführt hat. In dem Zusammenhang ist interessant, dass es auch das Jahr 1832 war, als Clara Schumann das Tafelklavier mit der Repetitionsmechanik von Sebastian Erard bekam! Offensichtlich erleichterte die nunmehr einwandfreie Spieltechnik ihre Arbeit erheblich. Die frei gewordenen Ressourcen ermöglichten die zu ihrer Zeit neue Leistung, selbst anspruchsvolle und umfangreiche Werke vor Publikum auswendig zu spielen.
Spielraum

Störungsfreiheit und Übererfüllen der Erwartung sind die Schlüssel zu der erwünschten Wirkung einer Wohlfühlstimmung. Störungsfreiheit ist insofern von Bedeutung, da wir Menschen auf Ökonomie angelegt sind. Ein wesentlicher Aspekt der Ökonomie besteht darin, dass alle wirklich wichtigen Abläufe ohne das Einschalten unseres Bewusstseins funktionieren. Auch die Wirkung von Musik ist nur dann optimal, wenn unser Unterbewusstsein in aller Ruhe die Wirkung der Musik entfalten kann. Sie haben richtig gelesen: In uns wird Musik entpackt. Schwingungen lösen Phantasien, Träume, Erinnerungen und Gefühle aus. Der Musiker verpackt die Komposition durch seine Interpretation. Die einzelnen Musikinstrumente verpacken Töne in unterschiedliche Klänge. Die musikalische Wahrnehmung erfordert weder Aufmerksamkeit noch Bewusstsein. Das lässt sich ganz einfach beweisen, wenn man sich verdeutlicht, dass das Hören ein Sinn ist, der 24 Stunden online ist. Zu viele und zu laute Höreindrücke erzeugen daher Stress. Umgekehrt kann man den Hörsinn nutzen, um sich in Verbindung mit Wohlklang zu harmonisieren.

Hörlust

Ein anderer Ausdruck der ökonomischen Organisation des Menschen ist unser starkes Bedürfnis nach Orientierung. Sich in der Vielfalt der Welt zurecht zu finden, bedarf einer guten Orientierung. Das lernen wir schon als Kind, wenn wir Informationen strukturieren und kategorisieren, um so die Menge der Daten zu reduzieren. Ein in dem Zusammenhang interessanter körperlicher Aspekt ist zum Beispiel die Händigkeit. Bereits frühzeitig entwickeln wir die Bevorzugung einer Hand, die in der Folge häufiger eingesetzt und somit besser trainiert wird. Die Grundlage für diese Entwicklung ist unser Bedürfnis, unsere Handlungsfähigkeit zu optimieren. Wenn wir alles mit beiden Händen gleich gut könnten, dann müssten wir bei jeder Gelegenheit neu entscheiden, mit welcher Hand wir aktiv werden. Entscheidungen erfordern Bewusstsein. Da unser Gehirn aber mit 2 Prozent der Kärpermasse 20 Prozent der Gesamtenergie verbraucht, haben wir das dringende Bedürfnis, an dieser Stelle Energie zu sparen. Der Hirnforscher Gerhard Roth beschrieb die energetische Situation unseres Gehirns mit den Worten, dass wir uns ständig am Rande der Bewusstlosigkeit befinden würden.

Gefühle haben die Funktion, Erfahrungen zu bewerten, um diese Erlebnisse in Zukunft zu wiederholen oder zu vermeiden. Der Maßstab dieser Bewertung ist unser Wohlbefinden. Die Verbindung des Erlebten mit Gefühlen spart kognitive Kapazität. Denn in Zukunft muss ich nicht erst überlegen, sondern kann meinem Gefühl vertrauen. In dem Zusammenhang taucht die so genannte Hör-Lust auf. Das Hören wird zur Lust, wenn das Gehörte mit dem übereinstimmt, was wir erwarten. Umgekehrt wird das Gehürte zur Last, wenn ich zusätzlich zu meiner Erwartung das Gehörte zurecht hören muss, da es z.B. aufgrund

  • der Verstimmung des einzelnen Tons,
  • der Verstimmung des ganzen Instruments oder
  • einer ungleichmäßigen Intonation innerhalb der Tonreihe
Harmonie

meine Aufmerksamkeit erregt und somit das Unterbewusstsein bei der wohltuenden Wirkung der Musik stört. Die zusätzliche Aktivierung des Bewusstseins wird vom Limbischen System als dem Sitz unserer Gefühle negativ bewertet. Denn zum einen ist es ein unökonomischer Mehraufwand und zum anderen verhindert das Einschalten des Bewusstseins die erhoffte Wirkung der Musik. Denn aufgrund unserer gemeinsamen Überlegungen wissen wir inzwischen, dass die musikalischen Schwingungen, Akzentuierungen und Rhythmen ähnlich wie im Schlaf in uns Sequenzen aus erlebten Eindrücken in Gang setzen, die wir letztlich als Harmonisierung empfinden.

Zum Seitenanfang Zur Themenübersicht