Mit Erstaunen haben wir im Westen zur Kenntnis genommen, dass innerhalb weniger Jahre in China plötzlich 50 Millionen Menschen Klavier spielen. Die japanischen Klavierhersteller haben eine derartige Entwicklung als Möglichkeit antizipiert und konnten zeitnah auf den Boom entsprechend reagieren. Der Lohn war der Verkauf einiger Millionen Klaviere nach China in den vergangenen 15-20 Jahren.
Unsere Klavierbauer im Westen träumten zum Großteil derweil, an diesem neuen Markt entsprechend teilhaben zu können. Über die simple Strategie des Hoch-Preis-Marketings ist ihnen das auch mit ein paar dieser überteuerten Pianos gelungen.
Im Übrigen haben wir uns damit beschäftigt, diese unglaublichen Zahlen aus China zu interpretieren. Was war dort los? Warum ausgerechnet Klavier? Warum denn die westliche Klassik? Dazu sind uns viele gute Antworten eingefallen, die jedoch alle fern von der Wirklichkeit waren. Warum also explodierte die Nachfrage nach Pianos in China? Warum waren plötzlich unsere Musikhochschulen von Asiaten derart überlaufen, dass man dort kaum noch deutsche Teilnehmer findet – und warum hat nicht von höherer Stelle schon längst jemand auf diese für Deutschland genau genommen negative Entwicklung reagiert?
Kinder, Kinder, das wird ja immer schlimmer!
Der Anfang war 2008 als Bildungsreform ziemlich schlecht getarnt. Denn diese beinhaltete eine massive Attacke gegen den eigenen Nachwuchs. Um nämlich eine größere Chance für den Aufstieg in die höhere Bildung zu bekommen, konnten sich Kinder dafür außerschulisch qualifizieren. Dazu mussten sie die höchsten Klavierprüfungen bestehen. Das heißt, man hat den chinesischen Kindern die höchst anspruchsvolle, da mit einer Null-Fehler-Toleranz verbundene Musik einer für sie fremden Kultur verordnet. Davon sollten sie an einem komplexen Instrument wie dem Klavier nicht etwa einfache Stücke spielen, sondern bei Prüfungen die technisch schwersten Werke so darbieten, dass sie von den Juroren gute Noten bekommen. Davon hatten wir alle schon gehört. Wir konnten nur über all die Wunderkinder staunen und verständnislos den Kopf schütteln, die man uns stolz via Youtube präsentiert hat. Wirklich begriffen haben wir nicht, was da in China plötzlich los war. Die oben erwähnte Bildungsreform veränderte das Leben der Kinder dramatisch. Vor diesen Prüfungen sah der Alltag der Kinder so aus, dass sie nach der Schule offensichtlich alle in Nachhilfeschulen gehen mussten, um danach noch stundenlang Klavier zu üben. Eine derartige Dauerbelastung mit harten Prüfungen zum Zweck einer lebensentscheidenden Selektion haben mit Bildung wirklich nichts zu tun. Das nennt man vielmehr in der modernen Kriegsführung Psychoterror - wenn Soldaten der gegnerischen Linien mit einer für sie kulturfremden Musik beschallt werden. Doch bei den chinesischen Kindern war es ja nicht nur ein Beschallen, sondern sie mussten die Beschallung auch noch selbst initiieren und am Ende entschieden Prüfungen darüber, wie es mit ihrem Leben weitergeht. Das ist insgesamt eine Meisterleistung, wenn es darum geht, das zukünftig erwartete Engagement, jegliche Begeisterung und den als Neugierde bzw. besser formuliert als Interesse und Entdeckergeist bereits vorhandenen Wille zur Innovation möglichst frühzeitig komplett zu verbrennen.
Die dazu passende einzig richtige Frage stellte mir eine chinesische Mutter von natürlich Klavier spielenden Kindern: Warum MÜSSEN Kinder eigentlich Klavier spielen lernen? Dazu sind wir gerne bereit, ein paar Allgemeinplätze wie
anzuführen und meinen ernsthaft, das könnte man nur als Begleiterscheinung unseres ähnlich strukturierten Musikunterrichts erreichen. Eine 2020 durchgeführte Meta-Studie all dieser vorangegangenen kleineren Untersuchungen und Umfragen kam zum gegenteiligen Ergebnis. Denn zum einen wurde eben nicht geprüft, ob diese Verbesserungen auch über andere Wege erreichbar gewesen wären. Zum anderen wurde teils nachgewiesen, dass man Daten falsch interpretiert hat. Insgesamt konnte man nicht den Wunsch bestätigen, dass die in der Regel übliche Musikausbildung an klassischen Instrumenten mit dem Ziel, bereits bestehende Werke zu reproduzieren, zu einem vergleichsweise besseren Menschen führt. Wir können und müssen daher den Vorgang umkehren, und fragen,
Nach 10 Jahren bemerkte die Regierung, dass bei den Kindern etwas falsch läuft. Denn diese standen unter Dauerstress, waren überfordert und entwickelten immer mehr Depressionen. Also reagierte man und strich 2018 die Sonderpunkte für Klavier. Im Jahr 2021 folgte das Verbot einer ganzen Armee an privaten Nachhilfeschulen. Schließlich kam 2022 die Pandemie und mit ihr die bekannten rigorosen Lock Downs. Für die Kinder wurde der Klavierunterricht schlagartig unerreichbar. Die Pandemie belastete die Ersparnisse der privaten Haushalte, die nachfolgend nicht mehr bereit waren, in teure Klavier zu investieren. Diese Tendenz wird aktuell verschärft durch gestiegene Holzpreise sowie durch eine steigende Inflation in China, das insgesamt in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation steckt, was bei den Menschen die Verunsicherung über die Zukunft erhöht.
Nationalismus nicht des ersten Globalisten
Dazu passend ist man sich in China auf höchster Ebene darüber bewusst geworden, dass man mit der beschlossenen Bildungsreform westliche Musikinstrumente und westliche Kultur gefördert hatte. Ähnlich wie in USA wird nun stattdessen ein Nationalismus im Stil von China first gepflegt. Das heißt, in den Kanälen von Social Media sieht man seitdem weniger junge Leute am Klavier, dafür immer mehr Kinder, die traditionelle chinesische Instrumente spielen.
Das schnelle Ende der deutschen Träume
Von den Konsequenzen kann man gerade in unserer Presse lesen. Denn konkret endete damit die gesamte Subventionierung des Musikunterrichts in China. Die Pearl River Piano Group, der mit 125.000 Klavieren Jahresumsatz größte Klavierbauer Chinas, hat nun so große finanzielle Probleme, dass sie seit Monaten nicht mehr die Löhne der Arbeiter von Schimmel in Deutschland bezahlen kann. Sie erinnern sich: 2016 hat sich Schimmel ohne Not an den chinesischen Klavierriesen Pearl River Piano Group verkauft, um darüber optimal jedoch ohne eigene Kontrolle in China positioniert zu sein. Damals waren die Chinesen selbst noch am Träumen von weltweiter Expansion, 2 Jahre vor dem radikalen Ende des Klavierbooms... Genauso geht es im Oktober 2024 den Arbeitern von Grotrian-Steinweg. Diese deutsche Marke hat sich ebenso blauäugig von der chinesischen Parsons Music Group der Geschwister Ng kaufen lassen. Terence und Arling Ng führen in China ein Universum an Musikschulen mit angeschlossenen Musikgeschäften und Klavierfabriken in China und sind Eigner der Marken Wilhelm Steinberg, was 2013 eine feindliche Übernahme gewesen sein soll, sowie Grotrian-Steinweg in Deutschland. Jetzt kommt die Offenbarung für den Klavierbau in Deutschland knüppelhart und blitzschnell. Denn Seiler in Kitzingen, die seit 2008 dem koreanischen Staatskonzern Samick gehören, wurde bereits geschlossen. Am 02.08.2024 erhielten alle Arbeiter bei Seiler ihre Kündigung. Der deutsche Klavierbauer Seiler wird abgewickelt. Die Fabrikräume sollen schon zur Vermietung leer stehen. Grotrian-Steinweg hat die Insolvenz beantragt. Die einstige deutsche Premiummarke Schimmel scheint kurz davor zu stehen. Und auf einmal erfährt man aus der Presse, dass es mit dem Klavierverkauf während der Pandemie weltweit leicht bergauf ging. Nun aber geht es ebenso weltweit auf eine steile Talfahrt. Die Nachhaltigkeit der bisherigen Produktion sowie vor allem in Deutschland die Verweigerung gegenüber zeitgemäßen Erweiterungen der Möglichkeiten am Pianoforte wie eben das Silentpiano und die Hybridklaviere haben einen endlichen Markt endgültig gesättigt.
Die schon weit über 100 Jahre künstlich hoch gehaltene alte Musik bekam durch den Asienboom noch einmal massiven Auftrieb. Da diese Talentschmiede per Dekret nun beendet zu sein scheint, werden also auch die erwarteten Sensationen im Stil eines Lang Lang ausbleiben. Mangels Nachwuchs aus Europa und USA sowie aufgrund der längst offiziell festgestellten Überalterung des Publikums wird es den Kulturtempeln im Westen ähnlich gehen wie den Kirchen, bei denen zuerst die Organisten und dann die Gemeinden sterben.
Aus Sicht der Musik eine begrüßenswerte Situation. Denn selbst ein begeisterter Verfechter alter Spielweisen und Originalklängen wie Nikolaus Harnoncourt (6.12.1929 – 5.3.2016) sagt in Eine Reise zum Ich (2009), dass man sich eigentlich im Wesentlichen mit zeitgemäßer Musik beschäftigen muss, die alte Musik lediglich eine Randerscheinung sein dürfte. Wenn das aber umgekehrt ist, dann ist das ein Zeichen von Krankheit. Er ergänzt diese weise Einsicht mit den Informationen, dass sich die Musiker zur Zeit von Johann Sebastian Bach 31.3.1685 - 28.7.1750 ausschließlich mit zeitgemäßer Musik beschäftigt haben, ja, dass sich Bach sogar nur mit seiner eigenen Musik beschäftigt hätte. Erst seit circa 1900 konnte man beobachten, dass der Anteil an alter Musik gegenüber neuer Musik überwog. Den Grund dafür erwähnt Harnoncourt ebenso: Die Musik als Teil der Kunst ist ein Spiegel ihrer Zeit. Wenn ich aber in den Spiegel schaue, und sehe dort eine Fratze von mir, dann wende ich mich ab – und bin bereit, mich mittels der Harmonien der alten Musik über den Zustand der Zeit täuschen zu lassen! Es folgt ein Video von diesem Gespräch. Sie müssen zuerst alle Bedingungen bei Youtube ablehnen. Dann klicken Sie auf den Playbutton und können das Original hören und sehen. Klicken Sie einfach auf das Bild!
Blockaden im eigenen Kopf beseitigen
Das war aber nur der eine Grund, warum die Neue Musik ebenso wie der Jazz Anfang 1900 so viel Gegenwind bekamen. Der zweite, sehr massive und erschreckend nachhaltige Grund war das Eingreifen der Nazis in die Kultur und deren Ablehnung sowohl der Neuen Musik als auch des Jazz als Negermusik. Stattdessen verordnete man den Interpreten der alten Musik die Werkstreue – und falls Sie sich in alter Musik intensiv üben, dann wird Ihnen das geläufig sein, dass Ihr Rahmen für Interpretationen durch die Werksnähe extrem eingeschränkt ist. Denn so hat man inzwischen die ursprüngliche Formulierung der Werkstreue entschärft, ohne ihre einschränkende Wirkung zu verringern. Der Mann, der sich dafür stark gemacht hat, und dessen Einfluss bis heute auf Sie wirkt, heißt Peter Raabe (27.11.1872 - 12.4.1945). Er war Präsident der Reichsmusikkammer von 1935 bis 1945.
Eigentlich dürften Sie sich aber heute gar nicht mehr beim Spielen von alter Musik durch die Werkstreue eingeschränkt fühlen. Denn an deren Stelle ist die Performanz getreten, im Englischen die Performance. Diese ist Ihr persönliches Recht darauf, sich selbst in das Stück einzubringen, wenn es um den Ausdruck des Werkes geht. Haben Sie das verpasst? Das ist normal. Denn schließlich wurde uns diese neue Sichtweise mit den entsprechenden Spielräumen nicht im Rahmen einer Diktatur verordnet, die bei offensichtlich viel zu vielen bis heute nachwirkt.
Wie kam es zu der weitgehenden Ablehnung der zeitgemäßen Musik in Deutschland?
Die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts löste Elend, soziale Verunsicherung und politische Krisen aus. Die geniale und einzig richtige Antwort darauf lieferte Präsident Franklin Roosevelt in USA mit dem New Deal. Er führte für das Land die Sozialversicherung für alle ein. Seine Maßnahmen retteten Banken, halfen Unternehmen und trugen wesentlich dazu bei, die bedrohte Demokratie zu retten. Wer also heute die von Superreichen bedrohte Demokratie schützen wollte, könnte hier eine Vorlage finden. Die Maßnahmen der US-Regierung führten zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung. Die Zahl der Arbeitslosen sank. Gewerkschaften erstarkten und sie kämpften für faire Löhne der Arbeiter. Das wiederum führte zur Panik der rückständigen und nicht zu eigenen Entwicklung bereiten Unternehmer. Für ihre alten Geschäftsmodelle benötigten sie billige Arbeiter und vor allem verunsicherte Menschen. Das war deren Kapital. Anstatt sich und ihre Geschäftsmodelle zu entwickeln, suchten Sie Hilfe in einer Politik, die ihnen von Rechts angeboten wurde. In USA dauerte es jedoch bis zur von New Right unterstützen Wahl von Ronald Reagan, der gemeinsam mit Margaret Thatcher das Bankenwesen derart deregulierte, dass wir heute mit monatlich 30 Milliarden Dollar ein Schattenbankensystem am Überleben halten müssen, damit die Weltwirtschaft nicht erneut kollabiert - obwohl diese Schattenbanken in einem unkontrollierten rechtsfreien Raum handeln! Die Finanzkrise und ebenso die Klimakrise offenbaren die treibende Kraft hinter diesen für den gesellschftlichen Frieden sowie für eine lebenswerte Welt vernichtenden Kräfte, die durch den Neoliberalismus über rund 100 Jahre entfesselt wurden. Als Folge dieser Deregulierung der Finanzmärkte haben wir heute in der Welt wieder wie Anfang 1900 eine Instabilität, die einer starken Politik bedürfte, um diese eine von einer ganzen Reihe an weiteren möglichen Katastrophen zu verhindern. Doch die Politik wurde mit allen Mitteln des Neoliberalismus immer mehr geschwächt, wie letztendlich der mittlerweile unübersehbare Rechtsruck zeigt. Einzig die Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato (USA) plädiert aufgrund ihrer Forschungen, über die sie ausgezeichnete Bücher geschrieben hat, für die Rückkehr eines starken Staates, als Partner und Regulator der Wirtschaft. Zur Vertiefung dieses für die meisten Menschen neuen Themas der Schattenbanken kann ich Ihnen das nachfolgende höchst interessante Interview zwischen dem Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte Walter Oetsch und dem Politikwissenschaftler Joscha Wullweber empfehlen:
Die unbekannte Macht des Finanzsektors lautet ein weiteres Interview. Professor Walter Ötsch spricht diesmal jedoch mit der Politikwissenschaftlerin Andrea Binder über die Entstehung des Systems der Schattenbanken.
Als die Rechten mit den Nazis in Deutschland an der Macht waren, verschwanden diese nach der Niederlage Deutschlands am Ende des Zweiten Weltkriegs nicht aus den Ämtern. Deutschland blieb ein rechtes Land, was von der US-Regierung über den Marshall-Plan gefördert wurde. Im Klartext: Der Erlaß von Kriegsschulden in Höhe von mindestens 15 Milliarden Dollar ermöglichte es, dass wir uns ganz fleißig damit beschäftigten, Wohlstand aufzubauen, anstatt die Geschehnisse unserer Schuld psychologisch aufzuarbeiten. Daher blieben die alten Narrative des Antisemitismus sowie des Rassismus bis heute aktiv.
Bei Wikipedia kann man bezogen auf die Entwicklung der Musik in Deutschland genau diese Geschichte sogar mit Namen belegt nachlesen. Die Nazis, die bis zu 50 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin publizieren konnten, beeinflussten nachhaltig die Entwicklung der und den Umgang mit der Musik. Das Endergebnis war, dass sich die Alte Musik in allen Institutionen durchgesetzt hatte. So liest man bei Wikipedia über die Alte Musik im 21. Jahrhundert: Dass sich die Musikwissenschaft in Deutschland nach wie vor einer Diskussion über das Phänomen Alte Musik verweigert, kann ein Hinweis darauf sein, dass man nicht wahrhaben will, dass sie in der Musikkultur seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer erfolgreichen Konkurrenz der Neuen Musik geworden ist, deren Entwicklung man eine größtmögliche Bedeutung beimisst. Das Verschweigen eines Themas, also die angebliche Nicht-Existenz eines Themas ist ein besonderes Machtinstrument. Solange es das Thema nämlich nicht gibt, kann man es nicht diskutieren, und schon gar nicht ändern. Trotzdem es kein Thema ist, können wir bei Wikipedia über die Alte Musik im 21. Jahrhundert lesen: Ende des 20. Jahrhunderts hat sich Alte Musik im Konzertleben und an den Hochschulen etabliert. Im Wissen um eine adäquate Aufführungspraxis, im Erschlossensein eines reichen Aufführungsmaterials und mit den Möglichkeiten eines wiedergewonnenen Instrumentariums vergangener Jahrhunderte hat sich die Alte Musik fast weltweit ausgebreitet. Besucht man den Hochschul-Kompass für Musik so findet man dort auf jeden Fall ein Übermaß an Angeboten für Alte Musik, unter anderem sogar einen Studiengang in Hamburg für ein historisches Instrument, von dem Sie vermutlich noch nie gehört haben: Dem Claviorganum, eine Mischung aus Cembalo und Pfeifenorgel! Historisch gesehen ein Beweis für große Handwerkskunst auf der Basis geistiger Flexiblität, die in Deutschland vor 1900 die Regel war. Aber so ein über 4 Semester dauernder Studiengang ausschließlich für ein historisches Instrument, das nicht einmal einem Spezialisten wie mir bekannt ist, kann man durchaus als einen Hinweis auf den Schwerpunkt der Orientierung in der Musikausbildung eines Landes einordnen. Die Kernfrage an die Klavierbauer ist: Wo sind diese geniale Kreativität, die unbändige Entwicklerfreude hingegangen? Wie hat man es fertig gebracht, aus Deutschland als ein Land voller Entwickler von vor 1900 in nur 120 Jahren ein Entwicklungsland zu machen?
Auf den Punkt gebracht heißt das, wenn man heute im Rahmen der Lehrerausbildung Musik studiert, oder zum Musikstudium in Verbindung mit einem klassischen Instrument an die Hochschule geht, bekommt man dort im Wesentlichen Alte Musik gelehrt. Meines Wissens nach kann man erst seit wenigen Jahren auch Popmusik studieren. Für Jazz gibt es mittlerweile sogar eine größere Bandbreite an Studiengängen. Doch der Schwerpunkt der Musikausbildung, aber vor allem der Musikwissenschaft, die den Anspruch erhebt, für die Musikologie, also die Lehre und Entwicklung der Musik zuständig zu sein, ist die Alte Musik geblieben. Warum ist das so? Wofür steht die Alte Musik?
Die Alte Musik der Renaissance und des Barock drückten die Weltbilder der Auftraggeber musikalisch aus. Die Auftraggeber waren die Kirchen sowie die Fürsten. Deren Weltbilder waren natürlich harmonisch, fantastisch, paradiesisch, also alles das, was das irdische Leben für die meisten Menschen in dieser Zeit nicht war. Ganz im Gegenteil litten die Menschen unter den Folgen der großen Pest, nämlich konkret unter den Eingriffen des Staates in Kooperation mit den Kirchen bis hinein in das Intimleben der Untertanen, die nämlich Menschen produzieren sollten. Diese wurden als Steuerzahler sowie vor allem als Soldaten für die unzähligen Kriege der Europäer benötigt. Die Alte Musik spiegelte also nicht ihre Zeit. Sie war diesbezüglich genau genommen unehrlich. Warum ist das relevant? Nun, oben spricht Harnoncourt am Ende des Videos davon, dass die Kunst notwendigerweise den Geist ihrer Zeit spiegelt, und dass die Musik ein Teil der Kunst ist. Daher ist die Antwort auf die Frage, ob die Musik der jeweiligen Zeit diese Funktion erfüllt, ein relevanter Wert.
Erstmals Anfang 1900 begann die Neue Musik sowie der Jazz die Zeit zu spiegeln. Die Musik wurde ehrlich. Doch das, was die Neuen Musiker wie Igor Strawinsky mit dem sagenhaften Ballet Le sacre du printemps (Das Frühjahrsopfer) ahnten und was sie folglich in ihren Werken vorwegnahmen, waren die Gräuel des heraufziehenden 20. Jahrhunderts mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Darauf bezog sich oben Harnoncourt mit seiner Wortwahl der Fratze, in die man schaut. Das war natürlich aus Sicht der Leute, die für dieses millionenfache Töten verantwortlich waren, unerwünscht. Daher ging man in der Folge konsequent gegen die Neue Musik und aus Gründen des Rassismus gegen den Jazz vor. Doch wie erwähnt, endete das nicht mit dem Zweiten Weltkrieg, sondern fand seine Fortsetzung genau genommen bis heute. Wenn wir bei Wikipedia lesen, dass die Politik versuchte, mit dem Begriff Negermusik zuerst Blues und Jazz, dann bis in die 1960er Jahre auch noch den aufkommenden Rock'n Roll der Jugend zu diffamieren, dann erkennen wir dieses Muster heute sofort wieder, wenn die verzweifelten Klimaaktivisten von rechten Politikern kriminalisiert werden! Diese Politiker sind die gleichen gesellschaftlichen Kräfte wie damals, die hier ihren Handlungsspielraum als StaatsDIENER zu Gunsten einer längst nicht mehr zeitgemäßen Wirtschaft überschreiten.
An neuer Musik ist abgesehen von den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland nichts geschehen, was die Welt der Musik bewegt hätte. Fast alle digitalen Musikinstrumente kommen aus Japan. Ebenso findet im fernen Japan die gesamte Entwicklung der Silent- und Hybridpianos statt. Gerade bezüglich dieser beiden letzten Gattungen konnte man in Deutschland eine regelrechte Entwicklungsverweigerung feststellen. Sie fragen, warum das so ist? Nun, die Erfolgsgeschichten der Hybridpianos von
erreichen zwar immer mehr selbst der Klavierprofis, aber gehen auf wundersame Weise an den deutschen Klavierbauern vorüber. Sucht man nach Antworten, bleibt man vor einem Rätsel stehen. Es drängt sich förmlich die aktuelle Parallele zu den deutschen Autobauern auf, die sich dem E-Auto immer noch verweigern. Was ist los in diesem Land, das vor 150 Jahren ein Entwicklungszentrum der Welt war? Wem dient diese marktfeindliche und genau genommen kindische Ablehnung von Entwicklungen?
Dabei fanden die gesamten ersten Entwicklungen hin zu den zeitgemäßen Pianos in Deutschland statt. Doch weder Seiler (Erfinder des Hybridpianos), noch Ferdinand Manthey (Due-Corde-Piano mit Tonabnehmern ohne Resonanzboden, dafür mit Lautsprechern, das Stereopiano) oder ein anderer dieser kreativen Einzelgänger konnte die dafür notwendige Nische im Klaviermarkt erobern, weil die Branche konsequent bei der Alten Musik stehen geblieben ist. Nikolaus Harnoncourt verweist darauf, dass im Normalfall die zeitgemäße Musik eindeutig Thema und zugleich Spiegel ihrer Zeit ist. Wir erleben aber, dass der Normalfall außer Kraft gesetzt worden ist. Wie ist das geschehen? Von alleine? Nun, die Kriminologen, die diesen Fall untersuchen müssten, sitzen dummerweise auf der falschen Seite. Das wären nämlich die Musikwissenschaftler. Doch deren Wissenschaft endet dort, wo die zeitgemäße Musik beginnt. Es handelt sich also um eine Musik-Geschichts-Wissenschaft! Im Rückblick kann man den Tätern bestätigen, dass ihnen ein Husarenstück gelungen ist, das hinsichtlich der Manipulation der Öffentlichen Meinung durchaus mit der Geschichte des Neoliberalismus vergleichbar ist. Die Geschichte des Neoliberalismus und seiner Konkretisierung über die Globalisierung wurde sehr gut untersucht und dokumentiert. Wir stehen heute an dem Punkt, dass man der Musik des 18. und 19. Jahrhunderts in allen Institutionen zum Durchbruch verholfen hat. Damit erzeugte man vor allem für die Klavierbauer eine hervorragende Rechtfertigung, um gleichermaßen auf dem technischen Stand von 1870 zu verharren. Normal ist das nicht. Harnoncourt sprach davon, dass dies ein Symptom von Krankheit ist. Diese Sichtweise kann man teilen, wenn man einen kritischen Blick auf die Welt und unser Land wirft. Der Planet Erde kommt nach nur 300 Jahren Industriezeitalter und etwas mehr als 100 Jahren Neoliberalismus an seine Grenzen. Wenn wir in einer lebenswerten Welt leben wollen, müssen wir schnellstmöglich handeln. Doch anstatt sich dem anstehenden Thema der Transformation zu stellen, verweigern sich zahlreiche Unternehmen, ja ganze Branchen der Entwicklung - während die Entwicklungsländer in gigantischem Tempo aufholen.
Und wie sieht Deutschland heute aus? Wir verlieren im großen Stil den Anschluss an die Welt. Es gibt keine eigene Software, keine Hardware, kein eigenes Betriebssystem. Das sind die Schlüssel zu den Zukunftstechnologien. Wir sind komplett abhängig von USA bzw. von China. Anstatt dass wir mit den überfälligen Entwicklungen anfangen und z.B. eines der großartigen Linux-System zu einem starken LinEUx ausbauen, blockieren wir nach Möglichkeit jede Entwicklung. Deutschland wird zur Bananenrepublik - allerdings ohne Bananen. Das Bild wird passend von einer Politik ergänzt, die aktuell jedoch von Putin massiv unterstützt, nach rechts abdriftet mitten hinein in den Sumpf der asozialen Niedertracht. Doch der Nazi (!) Putin betrat die Bühne ja vergleichsweise spät. Die Alte Musik verweist auf eine Zeit, als der Geist des Silicon Valley in Zentraleuropa zu Hause war. Doch gleichzeitig hat man durch das künstliche Hochhalten einer ehemals zeitgemäßen Musik über deren Zeit hinaus, also konkret durch die Reduzierung von Musik auf das Reproduzieren von Klassik aus Deutschland zuerst in der Musik und in der Nebenwirkung auch in anderen Bereichen ein Entwicklungsland gemacht. Wenn man früher ein Musikinstrument lernte, wurde man Musiker. Heute lernt man nur noch ein Musikinstrument! Ja, tatsächlich, in der Regel wird man zum Bediener nur eines Musikwerkzeugs ausgebildet. In USA findet man dagegen viele ausgezeichnete Multiinstrumentalisten - sowie eine weitaus lebendigere zeitgemäße Musikszene.
Gerne stimme ich Ihnen zu: Noch sind wir nicht in allem ein Entwicklungsland. Aber die aktuellen Entlassungszahlen aus der Autoindustrie und deren Zulieferern sind diesbezüglich eine eindeutige und warnende Botschaft! Die Bosse dieser bewusst entwicklungsverweigernden Unternehmen werden so zu politischen Tätern. Sie stören die Gemeinschaft und zerstören die lebenswerte Zukunft der Menschen, die ihnen ihre Arbeitskraft in dem Vertrauen zur Verfügung gestellt haben, dass der Unternehmer seinerseits bestrebt ist, sein Bestes zu geben! Es ist wie bei der Klimaproblematik, bei der die Älteren den Generationenvertrag mit ihren eigenen Kindern aufkündigen. In diesem Fall werden Sozialverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern von den Managern im Auftrag der Eigentümer gekündigt! Das ist das Ende eines sozialen Friedens, ohne den es keinen Wohlstand geben kann, der mit einem Wohlgefühl von Sicherheit verbunden ist.
Im nächsten Kapitel werden Sie von einer Kuriosität in Europa lesen, an die wir aus den USA von einem der Helden der Neuen Musik in diesem Land erinnert werden. Die korrekt bezeichnete Zeitgemäße Musik hat in USA eine großartige Entwicklung genommen. Die Musiker dort spielen auf technisch höchsten Niveau, eine äußerst lebendige Musik und sie sind die einzigen Musiker auf der ganzen Welt, die dabei lachen und Spaß haben! Das sollte unser Vorbild sein!
Klassik für Schwarze - weil es damals zeitgemäß war
Die Sklaverei brachte es mit sich, dass Sklaven als Dienstboten in weißen Herrenhäusern arbeiteten. Das wiederum führte zu Mischlingen, die in die Verlegenheit kamen, sich kulturell in der höheren weißen Schicht zu bewegen. Das ist die Geschichte von Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges (25.12.1745 - 10.06.1799). Er lebte zur Zeit Amadeus Mozarts (27.01.1756 - 05.12.1791) und Joseph Haydns (31.03.1732 - 31.05.1809). Seine Musik ist der Mozarts ähnlich, aber da er Mischling war, konnte er unmöglich erfolgreich sein.
An diese Geschichte erinnert in unserer Zeit ein äußerst kreativer schwarzer Musiker, nämlich Roy Futureman Wooten mit seinen Projekten über Black Mozart:
Im Prinzip ging es zur Zeit der Französischen Revolution den Schwarzen genauso wie heute den Chinesen: Mangels einer eigenen musikalischen Ausdrucksform benutzte man die damals zeitgemäße Musik, die aber (bis heute) die Musik der weißen Herrschaft ist. Erst Anfang 1900 fanden die Schwarzen ihre musikalische Heimat in den neuen Stilen des Jazz sowie des Soul und später im Funk. Die alte chinesische Musik hat meines Wissens nach keine bedeutende Geschichte. Und eine zeitgemäße chinesische Variante gibt es noch nicht. Aber vor allem eine eigene aktuelle Musik würde wesentlich zu einer positiven neuen Identität und deren Ausformung in dem Riesenreich China beitragen. Doch vor diesem großen Schritt der eigenen musikalischen Entwicklung stehen nicht nur die Chinesen. Auch wir Deutschen waren mal bei der modernen Musik in den 60er und 70er Jahren gut dabei. In der Rückschau hat sich daraus jedoch keine breite Welle entwickelt, die das Land grundlegend bewegt hätte. Das wäre aufgrund der Vorgeschichte im Zweiten Weltkrieg auch ein Wunder gewesen. Die unvollständige Aufarbeitung dieser Katastrophe wirkt bis heute nach. Und so sehen wir die negativen Begleiterscheinungen gesamtgesellschaftlich in einer dramatischen Stagnation, die wir hier exemplarisch am Klavierbau diskutieren. Dem Kunsthandwerk der Pianoforteverfertigung muss man vorwerfen, dass man sich weitgehend selbst gegenüber den gerade aktuellen Entwicklungen verweigert, was dazu beiträgt, dass die Alte Musik zu Lasten der zeitgemäßen Musik unverhältnismäßig stark vertreten ist.
Im Jazz, der Anfang 1900 ebenso in Europa seine Hochburgen hatte und im Übrigen sich europäischer Harmonien und mit den Kirchentonarten auch europäischer Skalen bedient, wird das Gegenteil der puren Reproduktion originalgetreuer Werke kultiviert: Die Improvisation. Darüber wird die Fähigkeit vermittelt, wie man mit Freiräumen konstruktiv umgehen kann. Somit fördert diese Gattung der Musik wesentlich Kernkompetenzen, um gestalterisch befähigt zu werden. Konkret wird hier die Gestaltung des musikalischen Ausdrucks gefördert. Mit anderen Worten: In der zeitgemäßen Musik lernt man Musiksprache und wie man damit Seelen anspricht, also den Menschen unter die Haut geht. Die Improvisation von Standards sind quasi die Meisterstücke der Jazzer. Hier bekommt die Kreativität den Spielraum, den sie braucht, um sich optimal entfalten zu können. Zusammengefasst enthält dieser Abschnitt exakt die Kriterien, die die nächsten Generationen dringendst benötigen, um all die Probleme lösen und in einer Welt überleben können, die wir ihnen hinterlassen. Um diese elementaren Überlebenskriterien effizient und positiv besetzt vermitteln zu können, wäre die Musik ein dafür bestens geeignetes Spielfeld. Doch man muss sich zuerst grundsätzlich für diese Form von Musik mit Freiräumen entscheiden. Mit der bislang ausschließlich vermittelten Reproduktion klassischer Inhalte mit einer immanenten Werkstreue geht das nicht.
Die Alte Musik endete mit dem Barock circa 1750, also mit Johann Sebastian Bach. Danach begann eine für die Musiker sehr wichtige Phase, denn sie konnten sich unabhängig von Auftraggebern finanzieren. Zum einen gelang das über Kompositionen, die man über Notendrucke verkaufen konnte. Zum anderen entwickelte sich das Konzert zu einem wichtigen Marketing-Faktor für die Musiker. Die Unabhängigkeit der Musiker bewirkte, dass die Musik zunehmend ehrlicher werden durfte. Doch im ersten Schritt wurde sie vor allem spektakulärer. Musiker wie ein Franz Liszt entwickelten sich zu einem Klaviervirtuosen, nachdem er den Teufelsgeiger Niccolò Paganini live erlebt hatte! Entsprechend virtuos wurde die Musik und das Konzert wurde so zu einem echten Erlebnis! Unsere hier oftmals erwähnte Alte Musik wurde gar nicht mehr gespielt. Man beschäftigte sich mit zeitgemäßer Musik, wie das normal sein sollte, sagt Harnoncourt. Unter anderen hat der 20-jährige Felix Mendelssohn-Bartholdy dem Meister des Barock Bach eine Renaissance verschafft, indem er ihn 1829 wieder gespielt hat. Nach dessen Tod war nämlich Bach auch nur noch Alte Musik, die man damals ganz selbstverständlich nicht mehr spielte. Denn zum einen war man ja selbst kreativ, wollte sich selbst vermarkten. Zum anderen war man ganz fasziniert von den neuen Möglichkeiten des Pianofortes, einem Instrument, das erst nach Bach den Höhepunkt seiner Entwicklung erreichte. Man war im Wesentlichen damit beschäftigt, das Leistungsspektrum des neuen Instruments und damit verbunden natürlich auch eine Art Neuer Musik in den aufkommenden Klavierkonzerten auszureizen, und sich selbst darüber zu zelebrieren. In diesem Sinn denke ich konstruktiv und bleibe nicht bei dem Entweder-Oder-Denken zwischen Alter und Neuer Musik stehen. Vielmehr bin ich begeistert von bereits existierenden Beispielen, die das ausschließende Denken durch das integrative Muster des Sowohl-als-auch ersetzen:
Die bislang steife Klassik in Richtung Jazz aufzubrechen, ist vorstellbar und wurde schon praktiziert. Denkt man in diese Richtung weiter, so könnte man die großen musikalischen Themen der Klassik im Sinne von Standards verstehen, über die man seine Improvisation der Öffentlichkeit vorstellt. Entscheidet man sich grundsätzlich für einen zeitgemäß stimmigen Umgang mit der Musik, dann können auch nachfolgend wieder die dafür optimierten Instrumente in Deutschland entwickelt werden, und müssen nicht mehr zu 90% aus Japan kommen - auch wenn man denken könnte, dass sich Japan gar nicht mehr vermeiden lässt. Um das folgende Video sehen und hören zu können, werden Sie nach einem Klick auf das Bild zu Youtube geleitet. Dort müssen Sie zuerst alle Cookies ablehnen. Dann klicken Sie auf den Playbutton und genießen die Beethoven-Improvisation der japanischen Ausnahmepianistin Hiromi Uehara.
Klassik ist lebendig, wenn man der individuellen Performance Raum gibt. Dann kann die Alte Musik entspannt aufatmen. Wie wir gehört haben, wird die Klassik richtig lustvoll, wenn man ihr die Türen in die Zeit öffnet. Hiromi und eine Hand voll weiterer Musiker trauen sich diesen Zeitsprung zu, der für viele immer noch derart unmöglich scheint, wie der Sprung über den eigenen Schatten. Genau um dieses Abenteuer geht es.
Will man die gute Klassik in die Zeit holen, dann muss man sich sowohl mit der Klassik als auch mit den zeitgemäßen Musikwerkzeugen und musikalischen Stilen auskennen. Das ist höchst anspruchsvoll und schließt direkt an unsere Hochkultur der Vergangenheit an. Doch da diese Entwicklung nicht schon längst und von ganz alleine stattgefunden hat, stellt sich die Frage: Wie kann man eine derart begeisternde Musikkultur entfesseln?
Kennen Sie die Cusanus-Hochschule für Gesellschaftsgestaltung? Gerne stelle ich sie Ihnen kurz vor: Sie wurde von Silja Graupe, Professorin sowohl in Philosophie als auch in Ökonomik, gegründet. Nachdem sie als Professorin an anderen Universitäten festgestellt hat, dass ihre Aufbauarbeit bei ihren Studenten von ihren Kollegen wieder zunichte gemacht worden ist, war die logische Folge: Sie gründete eine eigene Universität. Darin geht das Team der Lehrer davon aus, dass die alten Paradigmen vor allem für die Wirtschaft nicht mehr zutreffen. Daher kann man auch nicht einfach weiterhin die alten Regeln vermitteln, sondern muss sich gemeinsam mit den Studierenden auf die Suche nach den neuen Leitlinien machen. Dieser Prozess einer offenen Lehre, bei der Lehrer und Studenten gemeinsam lernen, beschreibt den Weg zum Ziel.
Zu unserem Musikunterricht: Lehrer, die bereits Erfahrung und Vorwissen haben, verfügen also über eine Vorsprung. Was ihnen jetzt noch fehlt, ist nur noch das zeitgemäße Handwerkszeug am PC sowie im Umgang mit digitalen Instrumenten. Das kann man sich lebendig, anschaulich und mit einem lachenden Gesicht erarbeiten oder vermittelt bekommen. Und sollten Sie nicht nur MusikLEHRER, sondern auch noch MUSIKER sein, dann werden Sie von dem neuen Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten begeistert sein! Lassen Sie sich von nichts und niemanden abhalten, sich genau auf diesen Weg zu machen. Denn dort wartet der Mehrwert der Musik auf Sie!
Die Musik braucht solche Gelegenheiten, wie den Niedergang einer für die Musik in Deutschland viel zu mächtigen Klavierindustrie. Darin liegt die Chance, dass zeitgemäße Klavierbauer entstehen oder sich bereits bestehende Pianoforteverfertiger zu solchen entwickeln. Diese werden dann dem MEM ihrer Branche der Tasteninstrumentehersteller folgen, und den Schlüssel, lateinisch clavis, aus dem der Name Clavir entstand, also das Tasteninstrument, immer weiter entwickeln. Denn das ist der Grund für das Scheitern einer Industrie, die beschlossen hat, auf dem technischen Stand von 1870 zu verharren, und zwar sowohl was die Spieltechnik des Instruments, als auch was die darauf zu spielende Musik sei! Das widerspricht völlig dem der Musik immanenten Streben nach einer ständigen Erweiterung der Spielräume. Das widerspricht absolut dem Wesenskern von Musik. Das glauben Sie nicht? Dann fragen Sie mal Bach. Ok, das geht nicht. Also will ich es Ihnen erläutern:
Dieses MEM der Erweiterung der Spielräume wiederum kennzeichnet die gesamte Entwicklung der uns bekannten Musik und zwar auch und ganz wesentlich der Alten Musik. Ohne dieses Streben nach Aufheben von Behinderungen und Einschränkungen wären z.B. keine Wohltemperierten Stimmungen in die Welt gekommen, die nämlich die Einschränkungen der Mitteltönigen Stimmung aufheben konnten. Der nächste Schritt im Rahmen der musikalischen Stimmungen hin zur heute üblichen Gleichstufigen Stimmung hat für die Musik und die Musiker den Fortschritt bewirkt, dass erst mit diesem letzten Schritt alle Tonarten gleich wurden und sich dadurch der Spielraum noch einmal entscheidend erweitert hat hin zum freien Wechsel der Tonarten. Aktuell befinden wir uns schon in der nächsten Stufe der Entwicklung. Diesmal nicht der musikalischen Stimmung, sondern der Hardware, die Sensoren bekommt. Darüber werden selbst an einem Instrument mit festgelegten Tonstufen, wie einem Tasteninstrument, Zwischentöne und somit die sogenannte Intonation möglich. Die Intonation wird auf einem Tasteninstrument möglich? Ja, das Salz in der Suppe der Musik wird im Rahmen von MIDI 2.0 für alle (digitalen) Instrumente zur Realität! Ha, sagen Sie jetzt, nur bei den Digitalen! Ja, bei den akustischen Instrumenten sind die Musikwerzeuge, die Intonieren können, eindeutig in der Überzahl. Nur die (akustischen) Tasteninstrumente können nicht intonieren. Das ist deren echtes Handicap, was sich mit der aktuellen Entwicklung des Verbindungsstandards Musical Instrument Digital Interface oder kurz MIDI 2.0 ändert, wenn das akustische Tasteninstrument grundsätzichlich derart erweitert wird, dass es auch digital kann, was bei den immer weiter verbreiteten Hybrid-Pianos kein Zauber mehr ist. Aber die Frage an die Spieler der akustischen und zur Intonation fähigen Instrumente lautet: Warum spielen Sie eigentlich so wenig mit diesem für den musikalischen Ausdruck so starken Element der Intonation?
Wird eine Entwicklung mit der Pistole auf der Brust positiv verlaufen?
Konkret geht es für die verbliebenen Klavierbauer um eine Neuausrichtung. Genau genommen kann man das Rad zurückdrehen bis 1853, als Steinway mit seinem großen Aufschwung begann. All die Fehlentwicklungen, die zu Gunsten von Klavierkonzerten in immer größeren Hallen in unsere Hausklaviere Einzug gehalten haben, die aus dem ursprünglichen Piano ein Hochleistungs-Superbeschallungs-Forte gemacht haben, sind schon längst nicht mehr zeitgemäß. Andernfalls hätte das Silentpiano, das von Kemble in England erfunden wurde, nie die Chance gehabt, große Marktanteile einzunehmen! Das gelang, da es von Yamaha und Kawai in Japan erfolgreich vermarktet und als Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung zuerst des akustischen Hybridpianos, dann des digitalen Hybridpianos genommen wurde. Der Weltmarktführer Yamaha soll 30 % seiner Pianos mit eingebauter Mehrwert-Elektronik verkaufen! Und wenn mich nicht alles täuscht, stehen die Japaner schon bereit, wenigstens die Akustikpianos aus Japan weitgehend durch die digitalen Hybridpianos zu ersetzen. Mit dem am Anfang des Abschnitts vorgeschlagenen Rückbau verbunden ist die Aufholjagd in neuen Technologien, die man in das Piano als Mehr-Wert integrieren kann, da sie den Spielraum erweitern. Hier ist Fantasie und Mut gefragt wie das z.B. Frau Franke-Ibach aktuell schon vorlebt, indem sie sich auf das aktuelle MEM unserer Zeit bezieht: Vom Handwerk zu Hightech! Exakt die Entwicklung, die seit 1870 im Klavierbau zu Gunsten von ein paar Spar-Paradigmen der Klavierindustrie zum Tabu erklärt worden ist, gilt es heute nicht mehr zu ignorieren, sondern zu kultivieren. Andernfalls wird das Überleben vermutlich ziemlich aufregend.
Zum Schluss noch eine Anregung: Chick Corea (12.06.1941 - 09.02.2021) spielt in einem Piano Solo seine Improvisation des Werkes Prelude Op. 11, No. 2 von Alexander Scriabin (25.12.1871 - 27.04.1915). Das Video müssen Sie wieder bei Youtube sehen und hören. Dort also wieder zuerst alle Bedingungen ablehnen. Dann auf den Playbutton klicken. Zuerst klicken Sie bitte auf dieses Bild.