In diesem Hörbeispiel hören Sie die Aufnahmen eines Klaviers der Marke Bechstein (Berlin). Diese Firma ist nicht nur schon lange eine deutsche Premiummarke, sondern auch der vermutlich größte verbliebene Klavierhersteller in Deutschland. Das Piano wurde 1927 gebaut und ist ein Modell 8. Es wurde von Praeludio® zuletzt vor 3 Monaten gestimmt. Beim Überprüfen der Stimmung erweist sich die Referenzoktave als noch akzeptabel. Doch bei der weiteren Prüfung hören Sie in der ersten Aufnahme, dass die Oktaven im Diskant anfangs leicht und am Ende immer stärker schweben. Beim Überprüfen der Stimmung in der zweiten Aufnahme hören Sie, dass die Oktaven immer noch schweben. Davor wurde das Instrument jedoch komplett neu gestimmt. Was ist hier los? Nebenschwebungen verhindern ein besseres Ergebnis. Sie fragen: Was sind Nebenschwebungen?
Bechstein schnell verstimmt Bechstein nicht stimmbarSchwebungen treten beim Stimmen auf, wenn zwei Saiten nicht ganz übereinstimmen. Schwebungen sind grundsätzlich ein reguläres Element der so genannten Gleichschwebenden Stimmung und daher per Absprache in allen Intervallen außer der Oktave legitim, wenn das jeweilige Intervall entsprechend der Definition der Stimmung in allen Tonarten gleichartig schwebt.. Beim Stimmen nach Gehör orientiert sich der Klavierstimmer an diesen Schwebungen. Nebenschwebungen sind im Sinne von Störungen zusätzliche Schwebungen. Als Ursache für Nebenschwebungen werden diskutiert:
Meiner Ansicht nach ist das Saitenmaterial dafür verantwortlich, dass einzelne Saiten in sich Störungen beinhalten, die man Nebenschwebungen nennt. Sie erschweren beim Stimmen nach Gehör nicht nur die Arbeit, sondern machen ein gutes Ergebnis der höchst präzisen Stimmung unmöglich, die man eine Gleichtemperierte, Gleichstufige oder auch Gleichschwebende Stimmung nennt. Zu dieser Schlussfolgerung komme ich, da ich ebenso Klaviere kenne,
Jedoch besteht keine Sicherheit darüber, ob ausschließlich das Saitenmaterial dafür verantwortlich ist. Denn es ist bei den blanken Saiten in der Mittellage sowie im Diskant sowohl bei Agraffen als auch beim Druckstab häufig nur die linke Saite, die Nebenschwebungen hat, im Extremfall können es aber auch zwei oder alle drei Saiten sein, die unrein sind.
Nun haben Sie oben aufmerksam gelesen und Ihnen ist bei dem Punkt Gehörstimmen der Gedanke gekommen, dass man ja ein Stimmgerät nehmen könnte, um das Ergebnis zu optimieren. Das ist ein ausgezeichneter Gedanke! Mit der Hybrid-Stimmtechnik primaTEK© verwendet die Klavierstimmerei Praeludio® die zeitgemäße Kombination aus dem herkömmlichen Gehörstimmen und dem Einsatz eines Klavierstimmgeräts. Das Klavierstimmgerät zeigt Ihnen aber bei unreinen Saiten keine eindeutige Lösung an. Sie brauchen also das Gehör, um die bessere Lösung zu finden. Nach Gehör finden Sie jedoch aufgrund der starken Nebenschwebungen innerhalb der einzelnen Saiten auch keine saubere Lösung. Dass die im gegenseitigen Abwägen zwischen Gehör und Stimmgerät gefundene Lösung besser als die Verstimmung am Anfang ist, werden Sie feststellen, wenn Sie die beiden Hörbeispiele miteinander vergleichen. Dennoch ist das besser eben nicht ausreichend. Das heißt konkret:
Wenn die Störungen so stark sind, dass sich der einzelne Ton nicht schwebungsfrei stimmen lässt, dann können auch die Intervalle nicht korrekt schweben. Somit ist das Instrument genau genommen nicht stimmbar. Das habe ich bei der zweiten Aufnahme nach der Stimmung dokumentiert. Beim Testen schlage ich im Diskant zuerst die Oktave an, um dann anfangs den oberen Ton noch einmal alleine anzuschlagen. Deutlich hört man, wie der obere Ton schwebt. Wenn ich dann noch einmal die Oktave anschlage, hört man den gleichen Schwebungscharakter des schwebenden Einzeltons in der Oktave. Das heißt, der schwebende Einzelton verdirbt die Qualität es Intervalls, in dem Fall der Oktave. Etwas weiter oben im Diskant schlage ich dann an die Oktave anschließend nicht nur den oberen, sondern auch den unteren Ton isoliert an. Nun hört man einen oberen schwebenden Einzelton und anschließend einen unteren schwebenden Einzelton. Dementsprechend lebhaft schwebt die Oktave. Das geschulte Ohr erkennt in einer solchen Oktave die Schwebungsmuster der beiden Einzeltöne. Was kann man tun?
Man kann das Bewusstsein der Klavierspieler für die Stimmbarkeit der Instrumente sensibilisieren. Denn erst wenn die Qualität der Stimmbarkeit für die Klavierspieler ein Thema ist, wird es auch für die Klavierindustrie ein Thema sein. Das heißt, die wesentlichen Veränderungen müssen letztendlich von der Industrie sowie von Werkstätten kommen, die Generalüberholungen durchführen. Das Klavier aus unserem Hörbeispiel ist nämlich ein solches Instrument mit dem Status generalüberholt. Es ist äußerlich mit schwarzem Polyesterlack neu lackiert. Im Inneren des Pianos hat man gerissene Saiten ersetzt und das Piano komplett gereinigt. Anschließend wird so ein Klavier zu einem ziemlich hohen Preis verkauft. Doch diese Werkstätten arbeiten vor allem fürs Auge und nicht für die in naher Zukunft wichtigen Aspekte wie eben die Stimmbarkeit und Stimmhaltung. Jetzt fragen Sie bestimmt: Warum werden diese Punkte in naher Zukunft wichtig?
Der Klavierservice stirbt in Deutschland aus. Als überregionaler Klavierservice kann ich davon berichten, dass es schon zahlreiche Regionen ohne einen regional ansässigen Klavierstimmer gibt. Da das sich selbst stimmende Klavier zwar 2002 in USA patentiert aber bislang nicht auf den Markt gekommen ist, brauchen die Klavierspieler Instrumente, die sie selbst stimmen können. Dazu bietet Ihnen schon heute die Klavierstimmerei Praeludio® das Praktikum Selberstimmen an, um Sie für die Zukunft zu qualifizieren. Darüber hinaus verändern sich die Angebote auf dem Markt. Zugunsten einer besseren Stimmhaltung experimentiert der in Deutschland kleinste Klavierhersteller Steingraeber (Bayreuth) mit einem Resonanzboden aus Carbon anstelle von Holz. Das bessere Konzept hinsichtlich der Stimmhaltung sowie der Stimmbarkeit hat jedoch das Una-Corda-Piano von Klavins (Bonn). Denn dieses 2014 auf den Markt gebrachte Leichtklavier hat pro Ton nur noch eine Saite − daher der Name Una-Corda-Piano − und darüber hinaus keinen gewölbten Resonanzboden mehr. Denn die Resonanzbodenwölbung ist der Grund, warum sich klimatisch bedingte Veränderungen der Luftfeuchtigkeit über die Anpassung der Holzfeuchtigkeit negativ auf die Stabilität der Saitenspannung (= Stimmhaltung) auswirken. Die Luftfeuchtigkeit betrug übrigens beim Nachstimmen des Klaviers aus unserem Hörbeispiel 45 Prozent und lag somit über der Untergrenze des Normalbereichs. Als Ursache für die schnelle Verstimmung scheidet der Normalwert somit aus.
Abschließend werden Sie möglicherweise einwenden, dass es von mir nicht fair ist, Bechstein anhand eines zwar generalüberholten aber doch bereits 1927 gebauten Pianos im Zusammenhang mit der Stimmbarkeit an den Pranger zu stellen. Möglicherweise stammt das Hörbeispiel sogar von einem Einzelfall. Nein, von einem Einzelfall stammt es nicht. Denn erst eine Woche davor stimmte ich im Landkreis Bad Kissingen das gleiche Modell 8 von Bechstein. Die Stimmbarkeit war mit den gleichen Problemen behaftet: Aufgrund von Nebenschwebungen schwer zu stimmender Diskant und ein sehr schwer zu stimmender Bass.
Bechstein rühmt sich selbst wegen des besonderen Klangs seiner Pianos. Man nennt das Phänomen den singenden Ton. Der so beschriebene Charakter ist aber keine Leistung, sondern das Beschönigen des Handicaps der Nebenschwebungen. Das ist insofern ärgerlich, als es mit den oben angeführten Pure-Sound-Saiten längst bessere Klaviersaiten gibt, die jedoch hauptsächlich in Japan, Korea sowie in USA, aber kaum in Europa eingesetzt werden. Ärgerlich ist, dass man dem Klavierservice so die Arbeit erschwert und dem Endkunden für sein gutes Geld eben nicht die mit dem Label Made in Germany versprochene höchste Qualität bietet. Lassen uns zum Schluss die oben gestellte Frage variieren: Was kann man tun, um das Problem der Nebenschwebungen zumindest abzuschwächen?
Man könnte versuchen, die Filze der Klavierhämmer zu bearbeiten. Aber davon würde ich bei starken Nebenschwebungen abraten. Sind mehrere Saiten unrein, so hat man damit keine Chance. Man könnte höchstens eine einzelne Saite abschwächen. Natürlich kann man die Saiten austauschen. Aber dann müsste man alle Saiten wechseln, den Stimmstock überprüfen, ob man mit stärkeren Stimmnägeln ein gutes Ergebnis erreicht, oder ob man auch den Stimmstock erneuern muss. Das sind aufwendige und somit kostenintensive Arbeiten für die es mehr braucht als nur entsprechend ausgerüstete Werkstätten. Die Branche braucht insgesamt einen neuen Geist, der die Faktoren Nachhaltigkeit und Zukunftstauglichkeit vereint. Werkstätten brauchen das Bewusstsein, dass ihnen die Kunden nur noch die beste Saitenqualität abnehmen. Vom Markt sehnsüchtig erwartete Features aus der neuen Kategorie der Hybrid-Pianos haben nur dann die Chance, den Markt zu revolutionieren, wenn sie allen zur Verfügung stehen - auch den Besitzern der alten Pianos! In diesen beiden Feldern der Generalüberholungen sowie der Nachrüstungen liegen die Chancen des Marktes in dem angeblich gesättigten Markt in Europa. Im ersten Schritt gilt es, den Kunden über die Möglichkeiten sowie die mit seiner Wahl verbundenen Konsequenzen zu informieren. Wenn der Kunde anschließend solche Mehr-Wert-Leistungen bei den Anbietern nachfragt, werden spätestens bei entsprechender Häufigkeit derartiger Anfragen die entsprechenden Angebote entstehen. Wer jetzt diese Zukunft antizipierend einsteigt, ergreift die einmalige Gelegenheit, Erster zu sein! Die Ersten bleiben aufgrund der simplen Tatsache langfristig in den Köpfen der Kunden, da es in diesem Bereich nach ihnen schlicht keinen anderen Ersten mehr geben kann.
#Hörbeispiel: Wie steht es um die Stimmbarkeit der #Klaviere? http://t.co/XBNk5DPMlu pic.twitter.com/InFyI5bH9t
— Matthias Meiners (@Praeludio) 8. März 2015