Sie hören ein bekanntes Stück. Doch Sie sind verwirrt. Das Instrument ist verstimmt. Aber es scheint nicht nur verstimmt zu sein. Was hören Sie noch außer verstimmmten Tönen und dadurch bedingte Missklänge? Ein Geräusch. Es ist nicht ständig vorhanden, sondern tritt nur gelegentlich auf. Es scheint an bestimmte Tonbereiche gebunden zu sein. Was ist das für ein Geräusch?
Massives NebengeräuschEs handelt sich um ein Nebengeräusch. So etwas ist natürlich vom Hersteller nicht beabsichtigt. Daher wird es vom Klavierspieler (und Zuhörer) als eine Störung empfunden. Was bewirken Störungen in uns?
Eine Störung lenkt ab. Sie provoziert quasi Fehler. Darüber hinaus verdirbt die Ablenkung die Freude an der Musik. Man kann sich beim Klavierspiel nicht entspannen. Das Nebengeräusch spannt einen an. Es aktiviert das Bewusstsein. Das Bewusstsein wartet auf das nächste Erscheinen und analysiert die Zusammenhänge. So wird das Bewusstsein selbst zur Störung, nämlich zu einer Störung des Unterbewusstseins beim Verarbeiten von Musik.
Da wir nun aber schon einmal unser Bewusstsein aktiviert haben: Was ist die Ursache für das Nebengeräusch? Ein Blick von oben auf den Resonanzboden zeigt zwei große Risse. Aber die sind bereits so groß, dass sie schon lange kein Nebengeräusch mehr erzeugen. Was kann dann die Ursache sein?
In diesem Fall sind es sich auflösende Leimverbindungen. Auf der Unterseite des Resonanzbodens des Flügels befinden sich die so genannten Rippen. Sie sind direkt auf den Resonanzboden aufgeleimt. Bei genauem Hinsehen ist auf dem Bildausschnitt eine Stelle zu finden, an der man einen Spalt zwischen Rippe und Resonanzboden erkennt.
Zuerst einmal kann man sich das Bild der Unterseite des Resonanzbodens noch einmal genau ansehen. Dabei fällt auf, dass die Rippen nicht nur geleimt, sondern zusätzlich auch mit Schrauben fixiert worden sind. Ist das so üblich? Nein. Normalerweise werden die Rippen nur geleimt. Wenn dort also Schrauben zu sehen sind, dann wurde diese wahrscheinlich nachträglich angebracht. Möglicherweise hat sich also schon früher die eine oder andere Leimverbindung auf der Unterseite des Resonanzbodens gelöst? Hat man einen bereits von oben sichtlich desolaten Flügel fit gemacht für den Verkauf? Aber warum bringen die Schrauben nicht die erhoffte Lösung? Die Schrauben wurden von unten durch die relativ hohen Rippen in den nicht sehr dicken Resonanzboden geschraubt. Umgekehrt wäre es sinnvoller – aber dann hätte man ja diese Not-Reparatur von oben schnell erkannt!
Die Rippen bergen also in sich das Risiko, dass sie später zu störenden Nebengeräuschen führen können. Wozu sind diese Rippen eigentlich da?
Die Rippen werden zu Produktionsbeginn auf den ursprünglich flachen Resonanzboden geleimt, um auf diesem die gewünschte Wölbung zu bewirken. Dreht man den Resonanzboden anschließend um, so kann man auf dem höchsten Punkt der Wölbung die Stege anbringen. Das bewirkt, dass die Saiten durch die Resonanzbodenwölbung unter Druck stehen. Dieser Druck spielt eine Rolle beim Stimmen sowie beim Verstimmen. Der Stimmer strebt nach einem Kräftegleichgewicht zwischen dem Druck des Resonanzbodens und der Saitenspannung, um die Stimmhaltung zu optimieren. Genau genommen ist Stimmen daher Kräfte-Management! Der Druck des Resonanzbodens verändert sich im Verlauf des Jahres in Abhängigkeit mit den klimatischen Schwankungen. Warme Luft transportiert mehr, kalte Luft weniger Feuchtigkeit. Das Holz des Resonanzbodens steht wiederum mit der Luft im Wettbewerb um die zur Verfügung stehende Feuchtigkeit. Bekommt das Holz mehr Feuchtigkeit, steigt der Druck auf die Saiten und die Saitenspannung erhöht sich. Umgekehrt sinkt die Saitenspannung bei weniger Luftfeuchtigkeit. Dieses Wechselspiel lässt die Saiten ungleichmäßig nachrutschen. Das Kräftegleichgewicht wird für unsere Ohren hörbar gestört. Das Piano ist verstimmt, auch wenn man es gar nicht spielt.
Ohne die Rippen würde man also eine bessere Stimmhaltung erreichen. Darüber sind sich Fachleute einig. Aber klingt ein Resonanzboden ohne Wölbung nicht schlechter? Vom Una-Corda-Piano wissen wir, dass das nicht zutrifft. Was ist dann der Grund für Wölbung des Resonanzbodens im Piano? Nun, irgendjemand hat das wohl ausprobiert. Andere haben es kopiert. Es wurde zum Standard und somit gängige Praxis im Klavierbau bis heute.
Fazit: Verzichtet man auf die Rippen, schaltet man einen Risikofaktor hinsichtlich möglicher Nebengeräusche aus. Gleichzeitig leistet man einen konstruktiven Beitrag zur Optimierung der Stimmhaltung. Denn Klimaschwankungen bleiben mangels der Wölbung des Resonanzbodens ohne Folgen!
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