Alle musiksensiblen Menschen wissen, dass die Musik unsere Seele streichelt. Gute Musik, die uns unter die Haut geht, ist für unser Seelenleben ein Grundbedürfnis. Sie erfüllt diesen Qualitätsanspruch, indem sie eine ganz bestimmte Wirkung auf uns ausübt:
Musik synchronisiert Körper, Geist und Seele.
Wie es diese Musenkunst schafft, über ihre Schwingungen Geist, Seele und die Materie unseres Körpers harmonisch in Gleichklang zu versetzen, wie also die Grammatik der Musik funktioniert, scheint bislang eher eine intuitive Ahnung als ein kognitiv lehrbares Wissen zu sein. Denn es ist das Gefühl, das die Grammatik und den Wortschatz der Tonkunst verbindet. Dass wir jedoch eine Seele haben und diese unser Wohlbefinden bestimmt, ist uns allen bekannt. Wahrscheinlich weil das Konzept einer Seele immer noch nicht in das gesellschaftliche System passt, kann die Wissenschaft auch keine Seele finden. Das kann man daraus ableiten, dass die Neurologen zeitlich passend herausfinden durften, dass lebenslanges Lernen tatsächlich funktioniert und daher eine Anhebung des Renteneintrittsalters biologisch gesehen legitim ist. Für den einzelnen Menschen als kleinsten Teil der Gesellschaft bedeutet die Ignoranz unseres Seelenlebens, dass wir uns selbst um unser Wohlbefinden kümmern müssen. Schließlich hören wir ja auch nicht auf zu denken, nur weil Hirnforscher bis heute lediglich vermuten können, wie Bewusstsein entsteht.
Um unser Seelenleben zu pflegen, ziehen wir uns von einer Welt zurück, die durch
immer hektischer, unberechenbarer und somit lebensfeindlicher wird. Denn der so erzeugte Stress ist es, der unser Wohlbefinden angreift und für die Masse aller Krankheiten verantwortlich ist. Unsere Seele blüht förmlich auf, wenn wir uns einfach mal in die freie Natur begeben und dort die wunderbare Musik der Vogelstimmen hören. Dabei ist die Harmonie der äußeren Umgebung für unser Innenleben ausschlaggebend. Denn unser Innen-Leben hat starke Fühler nach außen, wie z.B. die vor noch nicht allzu langer Zeit entdeckten Empathieneuronen zeigen. Wer den Draht zur Selbsthilfe verloren hat, für den hält die Pharmaindustrie so genannte Stimmungsaufheller bereit, für die man in USA jährlich 40 Milliarden Dollar ausgibt.
Damit Musik ihre harmonisierende Wirkung auf unsere Seele ausüben kann, braucht die Tonkunst im Idealfall eine besondere Atmosphäre, ein passendes Ambiente. Mangels Zeit greifen viele Menschen heute auf mobile Speichermedien und Ohrstöpsel als Transportmedien für Musik zurück. Durch die Headsets schotten sich die Menschen sichtbar von der Außenwelt ab, laden sich zeitsparend unterwegs mit der Kraft der Musik auf. Dementsprechend wichtig ist der Markt für gespeicherte Musik. Die Noten auf Papier waren das erste Speichermedium für musikalische Werke. Es folgte die Schallplatte und das so genannte Tonband, die beide von der CD abgelöst wurden, die aktuell von den Streaming-Musik in atemberaubenden Tempo vom Markt gefegt wird. Mit der Entwicklung der Speichermedien ziehen wir aus der Musik nur noch einen geringeren Nutzen, denn Musik wird vorwiegend passiv und lediglich nebenbei konsumiert.
In dem Zusammenhang ist die Feststellung fast schon überraschend, dass in allen Stilrichtungen die Live-Musik einen hohen Stellenwert behalten hat. Im direkten Erleben geschieht bei den Zuhörern offensichtlich weit mehr, als lediglich beim Abhören von aufgezeichneter Musik. Das Erlebnis rund um die Musik, also die Inszenierung scheint die Musik für das Publikum mit einem besonderen Mehr-Wert anzureichern. Das ist aufgrund der bereits bekannten Einsichten aus der Hirnforschung nachvollziehbar:
Das Erlebnis erhält seinen Mehr-Wert durch die Gefühle, die wir zusammen mit den Daten aus unseren Sinneskanälen verbinden. Diese Kopplung von Sinneswahrnehmungen und Emotionen wird später beim Erinnern wieder aktiviert. Wenn ich die live erlebte Musik z.B. von CD erneut höre, werden die aus dem damaligen Erlebnis heraus entstandenen Gefühle genauso wieder gespürt. Dieses Phänomen hat der Neurologe António Damásio Somatische Marker genannt. Die Live-Musik ist somit tatsächlich mit einem emotionalen Mehr-Wert aufgeladen. Damit diese neurobiologische Verknüpfung stattfinden kann, muss uns die Musik unter die Haut gehen. Das wird im Konzert leichter erreichbar als lediglich beim Abhören von Musik von Speichermedien, da der Interpret live mehr Möglichkeiten besitzt, unsere Sinne vielfältig anzusprechen.
In Anerkennung des Konzerts als ein besonderes Ereignis verkleiden wir uns und sind durch die Vorfreude und neugierige Erwartungen ganz besonders gestimmt. Aus unserer Vor-Stimmung wird jedoch häufig eine Ver-Stimmung, wenn nämlich unsere Erwartungshaltung nicht erfüllt worden ist. Worin bestehen also unsere Erwartungen an ein Konzert, an die Künstler, an die Musik?
Das Konzert soll die hohen Erwartungen unserer strapazierten Seele erfüllen. Die Seele sucht Wohlbefinden und Harmonie. Darüber hinaus ist sie offen für die Sensation, die Explosion der Klangwolke, das auditive und gerne auch das visuelle Feuerwerk, das Phantastische und eben alles, was uns wie Kinder zum Staunen bringt und zum Träumen einlädt. In dieser Befindlichkeit wird der Konzertsaal ebenso wie die Freiluftbühne für uns Konzertbesucher zur Kathedrale. Aus dem schlichten Musikerlebnis wird im Konzert eine Art Messe, wenn die Performance passend zu unserer Stimmungslage zelebriert wird. Der Musiker, Künstler, Interpret verwandelt sich in diesem Szenario in einen Priester, einen herausragenden Diener der Musik. Musik wirkt transzendental, wenn sie uns scheinbar in ein anderes Universum entführt, in dem wir die musikalischen Spannungen und deren Auflösungen physisch und psychisch intensiv erleben. In uns beginnt ein Glückscocktail aus Serotonin und Dopamin zu wirken. Körper, Geist und Seele spüren die vereinigende Kraft der Begeisterung. Das Konzert wird als Erlebnis nachhaltig, wenn das Kunstwerk gelingt, dass die Musik unsere Seele streichelt.
Zum Seitenanfang Zur Themenübersicht