Untermechaniken im Vergleich

Das moderne Kleinklavier ist genau genommen die Sparversion des Klaviers, wie es unsere Großeltern kannten. Das aufrechte Klavier, das wir im Deutschen einfach Klavier nennen, ist aus der Sicht der Entwicklung des Instruments eine Variante des Flügels. Anders formuliert gab es in der Klaviergeschichte zuerst das Tischmodell, das sich zum Flügelmodell vergrößerte. Doch erste aufrecht stehende Modelle bauten bereits der Christofori-Schüler Domenico del Mela und der Silbermann-Schüler Christian Ernst Friederici 1745. Anfang 1800 entwickelten unter anderen Bleyer, Seuffert und Wachtl die Mechanik und Form des aufrecht stehenden Pianofortes, das man damals Forte-Piano en Giraffe (Giraffenklavier) nannte. Anfang 1900 lohnte sich die industrielle Produktion vor dem Hintergrund eines großen Marktes von Interessenten, die sich trotz räumlicher Einschränkungen kulturell am Piano betätigen wollten. Da man sich grundsätzlich an einem Flügel orientierte, den man hochkant an die Wand stellte, waren die um 1900 gebauten Klaviere meistens 1,30 bis 1,50 m hoch.

Altes Klavier 130 cm hoch

Um 1900 hatten die Klavierhersteller in Deutschland Vollbeschäftigung. Davon zeugen im Atlas der Pianonummern rund 2.500 namentlich erwähnte Klavierhersteller. Die industrielle Massenproduktion von Klavieren und Flügeln wurde somit von einer überaus großen Anzahl von Klavierproduzenten bestimmt.

Eine Folge dieser ausgezeichneten Auftragslage um 1900 war die Entwicklung hin zum Kleinklavier. Die Rechnung der Produzenten war einfach: Wenn man sich pro Instrument Material sparen kann, steigert man den Gewinn. Die einstmals 1,50 m hohen Klaviere schrumpften auf 1,08 m. Das Extrem dieser Entwicklung war eine Art Kleinstklavier. Das Klangmöbel endete nur wenig über den Tasten. Aber wo war hier die Hammermechanik?

Mannborg Kleinstklavier

Kleinstklaviere haben eine so genannte Unter-Tasten-Mechanik oder auch einfach Untermechanik. Beinahe hätte diese Art des Spielwerks eine Art Renaissance erlebt, wenn nicht Pleyel bereits vor einem möglichen Erfolg des Carbon-Design-Pianos aus der Kooperation mit dem französischen Autobauer Peugeot endgültig insolvent gewesen wäre. Untermechaniken sind insofern problematisch, da man schlecht an die Mechanik gelangt. Gibt es bei Klavieren mit einer Untermechanik eine technische Fehlfunktion, so hat man in der Regel ein echtes Problem. Der Ausbau der Mechanik wird zum einen durch die stark eingeschränkten räumlichen Bedingungen sowie durch die meist fixe Verbindung zwischen Taste und Mechanik erschwert. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Daher beschränken sich die Leistungen des Klavierservice auf das Stimmen, falls der Klavierstimmer nicht schon beim Anblick des Instruments die Flucht ergreift bzw. am Telefon die Annahme des Auftrags verweigert.

Wurlitzer Kleinspiano

Das in Deutschland aufgrund der hier stationierten amerikanischen Soldaten noch öfters anzutreffende Kleinstpiano stammt von dem amerikanischen Hersteller Wurlitzer. Es verfügt über eine vollständige Tastenlänge, an deren Ende ein Stab fixiert ist, der mit dem Unterglied der Klaviermechanik verbunden ist. Drückt man eine Taste, so wird hier die Mechanik nicht wie bei den normalen Klavieren nach oben gedrückt, sondern gezogen. Das Spielgefühl unterscheidet sich somit wesentlich von der herkömmlichen Klaviermechanik. Darüber hinaus haben die Kleinstklaviere die üblichen Begleiterscheinungen der heute als Standard geltenden Klaviermechaniken mit einer Unterdämpfung, das heißt, man muss beim Herunterdrücken der Taste ab einem bestimmten Punkt die Federkraft der Dämpfung überwinden, was das Spielgefühl der aufrecht stehenden Klaviere grundsätzlich gegenüber dem Flügel beeinträchtigt. Davon wissen Sie als interessierter Leser meiner Beiträge bereits, denn dazu habe ich in dem Blog Serviceverweigerung im Kapitel über den Stand der Technik aufschlussreiche Vergleiche hergestellt.

Wurlitzer Klaviatur-Mechanik-Verbindung Untermechanik mit Zug

Trotz der geringen Höhe ist der Klang dieses Kleinstpianos von Wurlitzer gar nicht so schlecht. Der Unterschied zwischen der Verstimmung und der Stimmung ist deutlich. Um das Vorhandene zu erhalten, ist bei Kleinstklavieren Vorsicht geboten. Daher wurde das Klavier auf der vorhandenen Tonhöhe von 430 Hertz belassen.

Wurlitzer-Kleinstklavier verstimmt Wurlitzer-Kleinstklavier gestimmt

Eine eher selten anzutreffender Hersteller ist Theodor Mannborg (1861 – 1930) aus Leipzig. Auch er produzierte Kleinstklaviere. Noch ein wenig niedriger als die Instrumente von Wurlitzer und auch mit einer geringeren Tiefe. Mannborg hat sich einfach die halbe Taste gespart! Die Verbindung über die Stangen zwischen Taste und Klaviermechanik funktionierte hier so, dass die Stange in dem verbliebenen vorderen Teil der Taste ansetzte. Dass die unmittelbar nach dem Waagebalkenstift stark beschnittene Taste als Hebel überhaupt noch funktioniert, ermöglichte der deutsche Tasteninstrumentenbauer mit einer Druckleiste am Ende der halben Taste, die quasi diesen Punkt der Taste als Hebel fixierte.

Mannborg Kleinsklavier von oben

Das Kleinstklavier von Mangold wies starke Einschränkungen in der Spielart in Form des so genannten Trommelns auf. Am Ende der Stimmung entdeckt ich an den Verbindungsstangen die Möglichkeit, dort die Mechanik zu regulieren, und so die Spielart zu verbessern, wie man den Hörbeispielen direkt unter den Bildern entnehmen kann.

Mannborg Untermechanik Mannborg Untermechanik regulierbar Mannborg-Kleinstklavier verstimmt Mannborg-Kleinstklavier gestimmt Mannborg Mechanik reguliert

Zusammenfassend habe ich anhand der Variante eines Kleinstklaviers von Mangold gelernt, dass es also die beiden Varianten der Untermechanik mit Zug bzw. mit Druck zwischen der Taste und der Klaviermechanik gibt. Wenn die Regulierung der Mechanik bei diesen Sondermodellen einer Klaviermechanik korrekt durchgeführt worden ist, ist die Spielart soweit in Ordnung. Natürlich ist der Spielraum der emotionalen Bandbreite, den das Dynamikspektrum der Klaviatur eines Klaviers beziehungsweise Flügels idealerweise ermöglichen soll, mit lediglich halben Tasten bei der Version von Theodor Mangold stark eingeschränkt. Das ist übrigens aus der Sicht dieses Instrumentenbauers nicht so dramatisch, da sein Herz beim Harmonium zu Hause war. Bei Wikipedia erfährt man, dass er der Begründer der deutschen Saugwindharmonium-Industrie gewesen ist. Dem Harmonium und der Orgel ist das Dynamikspektrum über die Anschlagsdynamik auf der Klaviatur fremd.

Entgegen des Vorurteils gegenüber der Variante von Wurlitzer, bei der die Mechanik von der Taste nach oben gezogen wird, gibt es hier bei entsprechend regulierten Instrumenten durchaus angenehme Spielarten zu erfahren, wie das bei diesem Instrument aus dem Raum Schwabach der Fall war. Um also Entwicklung im Sinne einer Verbesserung zu ermöglichen, muss man auch einmal über den Schatten des eigenen Vorurteils springen und manche Lösungen einfach ausprobieren, um sie dann in der Praxis vergleichen zu können. Diesem Gedanken folgten möglicherweise die Klavierbauer von Pleyel bei ihrem Design-Piano mit einer Untermechanik im Flügel.

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