Das Klavierkonzert ist eine phantastische Veranstaltung. Man erlebt einen Solisten an einem außergewöhnlichen Instrument. Denn das Piano ist ein Werkzeug, mit dem ein Einzelner ohne weitere Musiker abendfüllend Musik machen kann.
Früher war das Klavier einmal so etwas wie das Radio. Logischerweise sind die Produktionszahlen im Klavierbau zum ersten Mal zurück gegangen, als das Radio aufkam und das neue Medium von den Nazis zum Zweck der Verbreitung ihres Ungeistes intensiv unterstützt worden ist.
Heute hat die Klaviermusik und damit verbunden die Live-Musik eine Vielzahl von hochwertigen Konkurrenten:
Wählen Sie: Klavier, Keyboard, e-Piano, ...
Das Klavier hat als Tasteninstrument massiv Konkurrenz bekommen durch
Was erwarten Sie von einem Klavierkonzert?
Wenn man heute in ein klassisches Klavierkonzert geht, bringt man zwangsläufig eine ganze Reihe von Erwartungen mit:
Zusammenfassend erwarten wir die Perfektion eines technisch perfekten Automaten in Form eines vollständig stressresistenten Menschen, der auch noch zu Gefühlen sowie zum Auslösen von Gefühlen in uns durch die wirkungsvolle Anwendung der Sprache der Musik imstande ist. Wir erwarten bei einem Klavierkonzert also nicht weniger als ein WUNDER – und das eben ganz SELBSTVERSTÄNDLICH.
Spielen Sie selbst Klavier? Oder lieben Sie einfach Klaviermusik?
Aus Sicht der Pianisten kann man fragen, wie sich denn das Publikum zusammensetzt:
Die Antworten auf diese Fragen kann man sich selbst in Form von Annahmen geben. Oder man muss den Dialog mit den Konzertbesuchern suchen. Wurden Sie schon einmal im Zusammenhang mit einem Klavierkonzert nach Ihrer Meinung oder Ihren Wünschen gefragt?
Durch welche Zusatzleistungen gewinnt ein Klavierkonzert für Sie an Mehr-Wert?
Um ein Klavierkonzert auch optimal erleben zu können, darf man aus Sicht des Publikums fragen:
Wissen Sie um Ihre Beweggründe, mit denen Sie ein Klavierkonzert besuchen?
Und an uns, das Konzertpublikum, selbst gerichtet können wir fragen:
Sie denken, Mehr-Wert müsse man erst erfinden?
Die Besucher einer Veranstaltung mit einem klassisch ausgebildeten Konzertpianisten erwarten insgeheim einen Mehrwert. Die Teilnahme an einer exklusiven Veranstaltung alleine reicht nicht. Es genügt auch nicht, dass wir den Balanceakt auf 88 Klaviertasten hinsichtlich auswendig gespielter Werke mit hohem Schwierigkeitsgrad fehlerfrei als Live-Event geboten bekommen. Wir wollen mehr, wir wollen einen Mehr-Wert! Die Musik soll uns berühren, wir wollen Zeuge der Reanimation des Geistes des Komponisten werden, der durch den Interpreten gleichsam leibhaftig aufersteht. Damit dieses hohe Ziel erreichbar wird, braucht es Zusatzinformation z.B. in Form einer Geschichte. Da wir aber im Vorfeld kaum informiert werden, beginnt man, uns direkt im Konzert Geschichten zu erzählen. Im Klavierkonzert bekommen wir Zusammenhänge und Hintergründe direkt vor dem Werk vom Pianisten persönlich dargeboten. Oder wir werden z.B. bei Klassik-im-Kino zusätzlich in der Konzertpause sowie vorher mit Interviews und Wissenswertem versorgt. Die Variante Klassik-im-Kino gibt es auch in der Version Klassik-live-im-Wohnzimmer, seitdem sich die Berliner Philharmoniker eine digitale Konzerthalle gebaut haben. Mit einem vergleichsweise sehr hohen technischen wie personellen Aufwand werden hier Konzerte mit mehreren Kameras aufgezeichnet und über das Internet live an Abonnenten verkauft. Je nach der Größe Ihres Bildschirms und der Qualität Ihres Sound-Equipments bekommen Sie dank zusätzlicher Interviews, Nahaufnahmen im Großformat sowie weiterem Bonusmaterial mehr als die Ihnen bekannte Konzertatmosphäre direkt ins Wohnzimmer geliefert.
Sprache und Fingerfertigkeit zeichnen uns Menschen aus
Die Integration von Medien in das Konzert ist heute keine Zauberei mehr. Wem es also um das Kunstwerk der Musik und hier um die künstlerische Seite der Darbietung geht, den wird gerade beim Klavierkonzert das Handwerk des Solisten interessieren. Mit der Fingerfertigkeit der Pianisten kann man für das Klavierspiel werben. Denn die Fingerfertigkeit des Menschen ist eine außergewöhnliche Leistung der Evolution. Gemeinsam mit unseren Sprachwerkzeugen betrifft die Fingerfertigkeit den Bereich der so genannten Motorischen Intelligenz. Jede Mutter weiß aufgrund der Erfahrung mit den eigenen Kindern, dass vor einer Stufe der geistigen Entwicklung zuerst ein körperlicher Entwicklungsschub stattfindet. Das wissen wir auch aus der Evolution, dass sich nämlich zuerst körperliche Fähig- und Fertigkeiten entwickelt haben, und erst nachfolgend sich das Gehirn entsprechend strukturiert hat und beträchtlich gewachsen ist. Daraus lässt sich ganz leicht folgern, dass wir etwas für unsere diesbezüglich sensiblen körperlichen Bereiche tun müssen, um nachfolgend im Denken sowie im Geist besser für die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit gerüstet zu sein.
Was wir heute aufgrund der Hirnforschung der vergangenen 20 Jahre wissen, war früher bereits die Grundlage für die musikalische Ausbildung der Kinder, die für die gesellschaftlich höheren Schichten zum Standard gehörte. Das heißt, auch ohne die wissenschaftlichen Einsichten haben die Menschen früher bereits weitsichtig gehandelt. Das gilt nicht nur für unseren Lebensraum, sondern zum Beispiel auch für die Japaner, die das Erlernen eines Musikinstruments nach dem Zweiten Weltkrieg zum Pflichtfach gemacht haben. Diese gesellschaftliche Wertschätzung gegenüber der Musik ist die Geschichte hinter Yamaha, die den außergewöhnlichen Erfolg des Konzerns erklärt. Yamaha ist nämlich der mit Abstand größte Hersteller von akustischen Klavieren und Flügeln! Aber erwähnenswert sind in dem Zusammenhang auch die Finnen, die ebenso das Musizieren zum Pflichtfach erhoben haben. Dieser sicher nicht unwesentliche Beitrag für den Erfolg des finnischen Schulsystems ist bislang weitgehend unbekannt.
Lernen am inneren Modell durch scheinbar passives Zusehen
Das Fingerspiel der Künstler zu beobachten, um über das visuelle Angebot ein inneres Mitspielen auszulösen, das man im Motorkortex tatsächlich konkret messen kann, liegt im besonderen Interesse eines musikinteressierten und daher auch selbst aktiv musizierenden Publikums. Doch die Praxis zeigt uns, dass im Klavierkonzert nur ein kleiner Kreis die Gelegenheit erhält, einen Einblick auf die Klaviatur und somit auf die Hände der Pianisten zu bekommen. Da es Klavierkonzerte ja schon lange gibt, könnte dieses Manko auch schon längst bei den Herstellern von Konzertflügeln angekommen sein. Dementsprechend hätte man Instrumente entwickeln können, die mehr Einblick erlauben. Zum Beispiel das von Peugeot-Pleyel 2012 entwickelte Design-Piano könnte so ein Instrument sein, da hier die Klaviatur auf der Ebene der Seiten und somit bei Flügel oben liegt. Hier kann man die Hände der Klavierspieler sehen. Aber bei diesem Entwurf ist aller Wahrscheinlichkeit nach die verwendete Mechanik spieltechnisch nicht auf dem höchsten Niveau einzuordnen. Daher ist dies bislang nur als ein erster Schritt hin zu einer besseren Lösung zu bewerten.
Transparenz − eine heute schon hoch geschätzte da vertrauensfördernde Eigenschaft
Da auch unsere deutschen Klavierproduzenten diese Chance wie so viele andere Gelegenheiten verschlafen haben, ist bei den Veranstaltern und Künstlern Eigeninitiative gefragt. So hat z.B. die Konzertpianistin, Frau Dr. Henriette Gärtner, 2012 bereits mehrere Konzerte mit Hilfe von Videoprojektionen in Echtzeit durchgeführt, um allen Besuchern ihrer Konzerte das Erlebnis ihrer Fingerfertigkeit zu ermöglichen. Somit ist sie eine Protagonistin für wesentliche Zusatzinformationen, die wir Besucher von Klavierkonzerten als Mehr-Wert empfinden, da wir so die Musik noch intensiver mitempfinden können, was letztendlich den Erlebnischarakter des Konzerts steigert.
Protagonisten braucht die Klassische Musik gerade in Europa. Denn wir leben in einer Zeit der Globalisierung sowie der Digitalisierung. Wir Menschen befinden uns in einer kritischen Situation. Der Einzelne verliert seine Einzigartigkeit in der schieren Masse. Der Mensch bekommt nicht nur in der Produktion sondern in Zukunft auch in der Dienstleistung massiv Konkurrenz nicht mehr nur von Automaten sondern von Robotern sowie dem Internet. Routineaufgaben entfallen. Die Anforderungen an die Arbeitsleistung steigen immens. In diesem Spannungsfeld sind Orientierungspunkte gefragt. Wir brauchen Selbstbewusstsein. Gerade wir Europäer.
An dieser Stelle bietet sich die Klassische Musik als einer unserer besten doch bislang unbemerkten Exportschlager an, den wir auch noch völlig umsonst der Welt schenken. Denn unsere europäische Musikkultur ist gerade in der Boomregion Asien deshalb so gefragt, da es weltweit keine annähernd vergleichbar hoch entwickelte Musikkultur gibt. Daher sind unsere klassischen Komponisten in Japan, Korea, China bestens bekannt, hoch geschätzt und man ist dort bereit, sich intensiv mit dem Klavierspiel als Zugang zu diesen Komponisten und deren Musik auseinanderzusetzen. Gerade das Klavierspiel explodiert regelrecht in China, wo es bereits über 50 Millionen Klavierspieler geben soll. Chinese Musikuniversitäten sind vergleichsweise gigantisch. Die Studenten haben nicht nur Übezellen sondern Übehochhäuser. Und die chinesische Regierung hat bereits beschlossen, die Musikindustrie mit sehr viel Geld zu fördern. Bei uns in Europa hingegen spricht davon, dass die Konzertsäle wegen Überalterung des Publikums und dem ausbleibenden Interesse der nachwachsenden Generationen aussterben werden. Deutsche Künstler sind auf der Bühne eine Rarität. Diesen Trend unterstützen unsere eigenen Medien intensiv, indem sie uns gerne und häufig alle möglichen jungen ausländischen Sternchen präsentieren. Das müsste nicht sein, wenn es eben Protagonisten gäbe, die den Geist der Klassik nicht nur reanimieren könnten, sondern die klassische Musik selbst wieder zurück in unser Leben holen. Dazu genügt es aber nicht, die Werke Bachs, Beethovens, Mozarts immer wieder aufzuführen. Die heutigen Bühnenstars müssen wie einst Franz Liszt das Klavierspiel quasi neu erfinden, indem sie die bestehenden Grenzen überschreiten.
Der Autor Oliver Hilmes beschreibt diese Situation in seinem Buch Liszt, Biographie eines Superstars (Pantheon-Verlag, 2012, S. 60-61) sehr anschaulich, nachdem Liszt 1932 den Teufelsgeiger Niccolò Paganini in Paris auf der Bühne erlebt hatte. Danach empfand Franz Liszt die Grenzen der Czerny-Schule als Einschränkung, die er nun überwinden wollte. Dabei war die Virtuosität der Weg, um dem Klavier neue Dimensionen der Empfindungen zu eröffnen.
Heute besteht eine solche Grenze z.B. in der Einschränkung auf die Interpretation des Werks. Früher wurden Kompositionen am Anfang und Ende offen gelassen, da die Komponisten darauf vertrauen konnten, dass die Musiker diese Teile selbst improvisieren konnten. Der fixe Rahmen der Klassik muss wieder hin zur Improvisation erweitert werden. Und bei dieser Grenzüberschreitung werden wir nicht stehen bleiben. Denn es wird genau das geschehen, was schon früher passierte, wenn man intuitiv musiziert. Aus der Improvisation werden neue Werke entstehen. Nun beginnt die Klassik wieder zu leben, wenn wir nicht nur im Sinne von Wiederholungen auf bereits erbrachte Leistungen zurückgreifen, sondern auf der Basis der vorhandenen Ergebnisse diese weiterführen. So könnte die klassische Musik wieder zum Ausdruck unserer Gefühle, unserer Träume, unserer Sehnsüchte werden.
Zukunft ist schon heute − auch beim Klavier!
Das Publikum lechzt nach Mehr-Wert. Es ist verwöhnt vom Überangebot. Wenn die Klassik nicht nur mithalten sondern die Zukunft mit Geist und Selbstbewusstsein gestalten will, müssen die klassisch ausgebildeten Solisten selbst Gas geben. Das Publikum will keine Kopien sondern Originale, also nicht nur Interpreten sondern Klang-Gestalter und Musik-Erfinder.
Dazu braucht es natürlich die passenden Werkzeuge. Die innovativen Instrumentenhersteller sind diesbezüglich schon unterwegs. Oben habe ich bereits den Computerflügel CEUS von Bösendorfer erwähnt. Yamaha bietet Disklaviere und Hybrid-Pianos. Darüber hinaus habe ich auf einer eigenen Homepage meinen Entwurf einer sinnvollen Kombination aus Tradition und Innovation formuliert. Diese Entwicklung ist also schon im Gange. Es werden Interpreten kommen, die die neuen Möglichkeiten nutzen und diese dem Publikum anbieten. Wenn man sich diesen neuen Herausforderungen rechtzeitig stellt, bekommt man die Gelegenheit, den weiteren Weg zu gestalten, auf die Richtung Einfluss zu nehmen. Ansonsten wird man von anderen auf diesem Weg getrieben.
Die Entwicklung unserer Welt treibt uns voran. Dem Fortschritt hinterher hechelnd bleibt die Menschlichkeit im Sumpf des Wettbewerbs stecken. Aber zum Wettbewerb gibt es eine Alternative, die wir scheinbar vollständig vergessen haben: Die Kooperation. Wenn also Künstler und Publikum, Musiker und Instrumentenhersteller den Dialog suchen, könnte ein harmonisch gestalteter Weg zu besseren Ergebnissen führen. Dazu ist die Musik geradezu prädestiniert, denn eine der wesentlichen Wirkungen der Musik ist die Harmonisierung als Gegenpol zum Stress. Gerade in einer schier explodierenden Globalisierung ist Stress der wichtigste Faktor, der unsere Lebensqualität massiv einschränkt. Um aber unsere Lebensqualität zu optimieren, genügt es nicht, sich vom Stress zu harmonisieren. Denn oftmals erzeugen wir z.B. über den so genannten Ausgleichs-Sport oder das Lernen eines Musikinstruments in der Schule mit Notengebung und somit als ein Leistungsfach neuen Stress! Wir müssen die Treiber für Stress erkennen und vermeiden. Dann bietet uns die Musik neue Ressourcen. Aktuell benutzen wir die Musik vorwiegend, um im Stress überleben zu können. Das Musizieren ist ein im Wesentlichen nach innen gerichteter Prozess. Nahezu jeder Klavierspieler spielt NUR für sich und nicht für und somit vor anderen, denn dieses Vorspiel vor anderen erzeugt ja schon wieder den Stress, den man mit dem Musizieren gerade abzubauen versucht. Erst wenn man also die Ursachen für den Stress vermeiden kann, wird uns die Musik die neue Ressource der kreativen Gestaltung eröffnen können.
Pianisten haben also ein breites Spektrum zur Verfügung, um das Klavierkonzert thematisch mit Sinn und Bedeutung zu füllen. Bei ihren Bemühungen könnte es darüber hinaus zahlreiche industrielle und institutionelle Ansprechpartner geben, die diesen Weg durchaus auch mit eigenen Interessen fördernd und gestaltend begleiten. Unsere Gesellschaft würde durch diese wertvollen Impulse der Musikkultur einen beträchtlichen Mehr-Wert in Form von Selbstbewusstsein, Kreativität, Gestaltungsfähigkeit und Menschlichkeit erhalten. An diesem Gewinn können wir die Protagonisten dieser Entwicklung durch die beste aller Werbungen nämlich die Mund-zu-Mund-Propanda teilhaben lassen, um so deren Bekanntheitsgrad nachhaltig zu erhöhen.
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