Wieder einmal wurde ich zu einer Klavierstimmung gerufen. Der Hersteller des Klaviers der Marke Hofmann-Czerny kam ursprünglich aus Wien, bevor die Marke 1990 von dem Schweizer Unternehmen Burger-Jacobi übernommen und die Klaviere in Tschechien produziert wurden. Burger-Jacobi seinerseits ließen ab 1999 die Instrumente von Petrof (Tschechien) herstellen. Die Klaviere dieses Herstellers mit der Bauweise der durchgängig verwendeten Agraffen sind mir bestens vertraut. Doch hören Sie, was ich aus dem 1994 gekauften Klavier bei seiner Erststimmung 20 Jahre später machen konnte. Das Klavier stand auf 424 Hertz und wurde auf Wunsch auf 440 Hertz gestimmt, damit die Familie gemeinsam Hausmusik machen kann:
Hofmann-Czerny 424 Hertz verstimmt Hofmann-Czerny 440 Hertz gestimmt Praeludio 424 Hertz verstimmmt Praeludio 440 Hertz gestimmtDie Klavierbesitzer wiederum waren überrascht, als ich beim Stimmen anmerkte, dass Hofmann-Czerny eine Zweitmarke von Petrof wäre und somit in Tschechien hergestellt worden sei. Zwar konnte sich der Kunde daran erinnern, wann das Klavier gekauft worden ist, aber er konnte sich nicht entsinnen, ein tschechisches Klavier gekauft zu haben.
Diese Situation erlebe ich fast täglich. Zahlreiche Klavierbesitzer sind über die wahre Geschichte hinter dem Namen auf der Tastenklappe ihres Klaviers überrascht und erstaunt. Aber wie kommt es dazu, dass ein derartiges Phänomen keine Ausnahme sondern beinahe der Regelfall ist?
Wie ist die aktuelle Lage der Klavierhersteller?
In dem Zusammenhang fällt mir ein bemerkenswertes Interview ein. Kein geringerer als Herr Sauter wurde in seinen Funktionen als Vorsitzender des Bundes Deutscher Klavierbauer sowie als Chef der Pianofortemanufaktur Sauter vom SWR2 am 04.02.2014 zum Interview (der Link zum Interview beim SWR2 wurde vom Sender gelöscht) gebeten. Die Sendung wurde unter dem Titel Klavierbau in Deutschland, warum sinkt der Absatz seit Jahrzehnten? ausgestrahlt. Im Gespräch selbst klagte Ulrich Sauter darüber, dass der deutsche Klavierbau von Billigangeboten regelrecht unterfüttert worden sei. Doch Herr Sauter klagt eben nur. Er klagt nicht an. Damit umgeht er die Gelegenheit, etwas zu ändern. Änderung ist aber schon längst das dringlichste Gebot vor allem für die deutschen Klavierhersteller. Sauter selbst müsste das anhand des eigenen Umsatzrückgangs von rund 70 Prozent in den letzten 20 Jahren als einen guten Grund für Veränderungen begreifen. Dass er stattdessen im Interview verkündet, dass es seiner Firma dennoch gut ginge, verdeutlicht die Dramatik des Abwärtstrends, denn auch andere Chefs von deutschen Klavierproduzenten beschönigen ihre Situation.
Irgendetwas scheint die Klaviersteller davon abzuhalten, auf der Grundlage einer offenen Analyse die entsprechenden Veränderungen einzuleiten. Es scheint über den Geschäften ein mysteriöser Nebel zu liegen. Daher will ich einmal versuchen, die Lage aufzuklären, indem ich die Entwicklung aus meiner Sicht eines in Bayern überregionalen Klavierservice aufzeige. Dabei hat der Klavierservice die Funktion eines Bindeglieds zwischen den Klavierherstellern und den Klavierspielern. Aus diesem Grund unterstützt und organisiert der Bund Deutscher Klavierbauer e.V. als Organisation der Klavierhersteller die Fortbildung der Klavierbauer, die im Verkauf, den Werkstätten sowie im Service tätig sind. Heute ist der Klavierservice die Verbindung zwischen Klavierhandel und Endkunde. Darin unterscheidet sich die Klavierstimmerei Praeludio® insofern, als sie weder an einen Händler noch an eine Klaviermarke gebunden ist. Damit habe ich bereits in der Anlage meines Unternehmens die Konsequenz aus der Entwicklung des Klaviergeschäfts gezogen. Denn der Klavierservice ist entweder nur noch ein Anhängsel an Musikgeschäfte, die unter anderem Klaviere verkaufen, oder aber er dient als Lieferant von Aufträgen für die an die Klavierhäuser angegliederten Werkstätten. Daher habe ich mich dazu entschlossen, mit Praeludio® als unabhängiger Partner für Klavierspieler, Klavierlehrer, Musikschulen und Pianisten einen eigenständigen Weg zu gehen.
Das Klaviergeschäft hat etwas Exklusives. Klaviere sind teuer. Flügel sind noch teurer und benötigen darüber hinaus auch noch mehr Platz. Die Pianos werden daher auch exklusiv gehandelt. Früher gab es noch einen reinen Klavierhandel. Das waren oftmals Klavierbauer, die nach der Ausbildung nicht in die Fabrik gegangen sind, sondern sich im Verkauf und Service als Partner der Industrie selbstständig gemacht haben.
Die Klavierhersteller betrieben insofern Markenpflege, als sie die Händler nach deren Qualifizierung sorgfältig ausgewählt haben. Nicht jeder Händler bekam jede Marke. Man baute Markennetze auf und sicherte den Händlern einen Gebietsschutz zu. Das war so etwas wie eine Preisgarantie. Sie mussten keinen Wettbewerb über den Preis fürchten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum kein Wettbewerb um den Kunden stattfand, der in einer Freien Marktwirtschaft doch der Normalfall sein sollte. Aufgrund dieser Absicherung gewöhnten sich die Händler daran, dass der Kunde schon zu ihnen kommen musste, wenn er eine Marke haben wollte, die dieses Geschäft in dieser Region vertritt. Die meisten Hersteller wiederum überliesen die Promotion für ihre Marke dem Händler vor Ort, der die Pianos ja dort verkaufen sollte.
Wie provoziert man potenzielle Eindringlinge? Indem man sie ausschließt!
Dieses Modell hatte den Nachteil, dass eine Vielzahl von potenziellen Klavierhändlern von dem mit dem Klavierverkauf möglichen Gewinn ausgeschlossen waren. Die so Benachteiligten suchten nach Alternativen. Ein Ausweg bestand darin, indem man weniger bekannte Marken anbot und parallel dazu die großen Marken schlecht redete, soweit sich dazu ein Anlass bot.
Weniger bekannte Marken mussten diesen Mangel z.B. durch einen niedrigeren Preis ausgleichen. Aber sie mussten nach Möglichkeit das gleiche Qualitätssiegel wie die meisten großen Marken tragen, nämlich Made in Germany. Diese Kriterien erfüllten zuerst die Klaviere aus der DDR. Sie waren preisgünstiger, trugen deutsche Namen und kamen aus Deutschland, ehrlich. Natürlich erwähnte man bei diesen Klavieren ebenso wenig wie später bei den Klavieren aus Osteuropa mit deutsch klingenden Namen das konkrete Herkunftsland. Die Klavierhersteller aus dem Westen Deutschlands hingegen verwiesen z.B. auf der Gussplatte ausdrücklich auf den Unterschied, indem sie dort Made in West-Germany anbringen ließen. Aber sie versäumten es eben, diesen Standortvorteil selbst zu bewerben. Noch heute sind die Marken
im mittlerweile geeinigten Deutschland weit verbreitet, und
sind nach der Wende wieder zu richtigen Premiummarken aufgeblüht.
Ein äußerer Feind sichert den inneren Zusammenhalt
Gleichzeitig waren die japanischen Hersteller auf dem deutschen Markt immer erfolgreicher. Vor allem Yamaha hatte als Konzern den Vorteil einer bekannten und somit starken Marke. Die Pianos aus Japan waren qualitativ immer mit den deutschen Produkten vergleichbar, aber preislich etwas günstiger. Yamaha war nicht beschränkt auf den Klaviermarkt sondern bedient bis heute den gesamten Musikmarkt. Der japanische Konzern verkauft seine Markenprodukte ebenso über ein Händlernetz. Alle daran nicht beteiligten Klavierhändler hatten guten Grund, die Pianos aus Japan schlecht zu reden, da deren Marktanteil in Deutschland gut 50 Prozent beträgt. Aber diese negative Stimmungsmache hat zum einen den Erfolg von Yamaha nicht aufhalten können. Zum anderen hat es bei dem Weltmarktführer im akustischen Klavierbau aus Japan nie dazu geführt, seine Klaviere unter einem anderen, nämlich deutsch klingenden Namen zu verkaufen, um das von den Mitbewerbern aufgebaute Vorurteil vieler deutscher Käufer gegenüber den Klavieren Made in Japan auf diese Art und Weise umgehen zu können. Im Zusammenhang mit Scheinmarkennamen hat insbesondere Yamaha eine reine Weste.
Billig ist bald die ganze Welt. Nur wir nicht.
Neben den günstigen Klavieren aus Ostdeutschland fanden die Händler deutsche Markennamen bei Herstellern aus Osteuropa. Hofmann und Czerny ist eine von vielen derartiger Marken:
Diesen Marken kann man aber nicht den Vorwurf einer Scheinmarke machen. Denn die Klaviere mit den hier genannten Namen (außer Hofmann-Czerny) wurden schon immer in der Tschechischen Republik hergestellt. Die Händler in Deutschland nutzten lediglich den deutsch klingenden Namen sowie den Preisvorteil, um sich so gegenüber den starken Marken und deren Händlernetzen zu behaupten. Um sich den Preisvorteil und die damit verbundene Gewinnspanne zu sichern, konnte man dem Käufer natürlich die wahre Herkunft nicht erzählen. Wäre den Käufern das Produktionsland bekannt gewesen, hätten sie das Klavier zu diesem Preis nicht gekauft. Sie wären mit der Geschäftsidee nur einverstanden gewesen, wenn sie am Gewinn in Form eines entsprechend niedrigen Preises beteiligt gewesen wären. Daher ist es nachvollziehbar, wenn sich die Besitzer derartiger Markenklaviere von den Händlern nicht fair behandelt fühlen, wenn sie die Wahrheit erfahren.
Was man jedoch schon immer vernachlässigen konnte, waren die Angebote an russischen Klavieren. Mir ist nur ein Händler in Deutschland bekannt, der russische Klaviere unter dem Namen Wagner vertreibt, vor deren Kauf auf mehreren Seiten im Internet dringend abgeraten wird, was ich aus meiner Erfahrung bestätigen kann.
Arbeitsplätze einsparen. Qualität einsparen. Hauptsache der Gewinn steigt!
Neben dem so entstandenen Wettbewerb zwischen den Klavierproduzenten und dem Klavierhandel schlug im Klavierbau aber schon längst ein weiterer Trend durch. Das so genannte „Moderne Kleinklavier“ war entstanden. Bei Wikipedia findet man unter dem Eintrag des Klavierbauers Ibach, der 2007 die Produktion eingestellt hat, den Hinweis auf die Entstehung des Kleinklaviers:
... vor allem aber wegen der kleineren Wohnungen, wurde das Kleinklavier entwickelt.
Das würde aber bedeuten, dass die Deckenhöhe der kleineren Wohnungen auf 1,11 m geschrumpft wäre, damit Klaviere mit einer Höhe von 1,10 m und niedriger noch hineingepasst hätten. Das ist natürlich ein schlechter Witz. Das Kleinklavier ist nichts anderes als das Sicht- und Hörbar-Werden des seit Mitte 1900 stattfindenden Abbaus von Qualität zu Lasten der Endverbraucher und zu Gunsten der Gewinnmaximierung der Hersteller und deren Händler. Doch der (Freie) Markt ist nicht dazu verurteilt, diesem Trend bedingungslos zu folgen. Alle an Klaviermusik interessierten Menschen haben schon einmal den Wohlklang eines älteren Klaviers vernommen und darüber hinaus haben diese Freunde der Klaviermusik ein intuitives Empfinden beim Hörvergleich im Geschäft. Aber die Käufer haben inzwischen gegenüber der Industrie auch ein derart schlechtes Selbstbewusstsein, dass sie es kaum wagen, ihren individuellen Höreindruck offen zu formulieren. Erst wenn ich Klavierspieler z.B. im Rahmen einer Klavierstimmung über die Entstehung der neuen Klangnorm des so genannten brillanten Klangs als einen Betriebsunfall im Zuge der Gewinnoptimierung durch Qualitätsabbau informiere, setzt der große Aha-Effekt ein. Der Markt reagiert mittlerweile auf die Strategie der Industrie, indem massiv gebrauchte und alte Klaviere gekauft und gespielt werden. Das 100jährige Klavier ist nicht wirklich alt und im Klavierservice keine Seltenheit.
Symplify für Wirtschaftsführer
Inzwischen geht der Trend auch im Klavierbau zur Produktion in Billiglohnländern. Japan war aber noch nie ein Billiglohnland. Konkret konnte Yamaha preisgünstiger als die Mitbewerber z.B. aus Deutschland produzieren, da die Japaner den Klavierbau weitgehend automatisiert haben. Korea ist schon längst im Lebensstandard gestiegen. Diese Länder sowie die Klavierhersteller aus den westlichen Ländern lassen ihrerseits bereits in Indonesien sowie in China Klaviere ihrer Marken bzw. Zweitmarken bauen.
Die Überlegung der Klavierbauer aus dem Westen beruht auf der Einsicht, dass der Massenmarkt vom Preis diktiert wird. Da der Massenmarkt aber auch der Einsteigermarkt ist, darf man diesen Markt nicht kampflos aufgeben. Um sich selbst im Niedrigpreissegment zu positionieren, braucht man also preisgünstig hergestellte Instrumente, um diese trotz des niedrigeren Preises immer noch mit Gewinn verkaufen zu können. Folglich hat man die Produktion in Billiglohnländer verlagert bzw. Firmen aus diesen Ländern beauftragt.
China ist inzwischen aufgrund der enormen Zahl an Klavierspielern im Reich der Mitte zu einer Klavierbau-Nation aufgestiegen. Die Chinesen beschränken sich nicht mehr darauf, für andere Marken Klaviere herzustellen, sondern sind selbst mit Marken vertreten.
Machen die Chinesen etwas anders? Nein:
Vermutlich mangels der wirklich guten Qualität sind eindeutig als chinesische Marken identifizierbare Namen wie Der goldene Ton die Ausnahme. Offensichtlich ist die Akzeptanz in Deutschland gegenüber der Produktion traditioneller und somit kulturell in unserer Region verwurzelter Güter wie den Klavieren aus China immer noch sehr gering. Vielleicht aus diesem Grund ist der Umgang der chinesischen Klavierhersteller mit eigenen Marken eher zurückhaltend. Dem könnte man entgegen halten, dass die meisten der Klaviere unter 4000.- Euro bereits aus China kommen. Doch an der Stelle betreten wieder die Händler die Bühne. Denn die Klaviergeschäfte vor Ort bieten die chinesischen Klaviere und Flügel an
Dass ein chinesischer Klavierhersteller seine Pianos unter dem eigenen Namen anbietet, ist bislang eher die Ausnahme und somit möglicherweise ein Hinweis auf die mangelnde Identifikation mit diesen ursprünglich aus dem Westen stammenden Produkten.
Als Beispiel für das Bemühen der Chinesen um mehr Selbstbewusstsein im Pianomarketing könnte man an dieser Stelle die Zusammenarbeit des größten Klavierbauers aus China, der Pearlriver Group, mit einem der kleinsten Klavierhersteller aus Deutschland, Steingraeber, verweisen. Denn Pearliver lässt in Bayreuth Pianos der Marke Kayserburg für den chinesischen Hochpreismarkt zum Teil herstellen und zum Teil wie es so schön heißt optimieren. Doch aus dieser Zusammenarbeit kann man meiner Ansicht nach lediglich das Interesse der Chinesen an dem guten Namen des deutschen Klavierbauers ablesen. Wären die Leistungen Steingraebers aus der Vergangenheit oder Gegenwart der Grund für das Interesse der Chinesen, dann wären diese Leistungen auch im Westen weithin bekannt. Der größere Bekanntheitsgrad hätte wohl kaum dazu geführt, dass der Klavierbauer aus Bayreuth heute der kleinste Klavierhersteller Deutschlands ist, denn die Stückzahlen der Produktion von Steingraeber betragen den eigenen Angaben nach nur noch 120-140 Pianos im Jahr. Gut ist der Name von Steingraeber, da er das im Klavierbau mehrwertige Wort Stein enthält. Über diesen Namensanteil verfügen nämlich auch die bekannten Marken
sowie die weniger bekannten Marken
sowie zahlreiche nicht genauer zuordenbare Marken wie
Aber warum ist nun der Anteil Stein im Namen eines Klavierproduzenten so wichtig? Natürlich ist aufgrund der konservativen Struktur der Branche nach wie vor als Namensleitbild die aktuell in deutliche Turbulenzen geratene einstige Premiummarke Steinway an erster Stelle zu nennen. Steinway hat sich einen hohen Bekanntheitsgrad erarbeitet, indem man eine von den Händlern unabhängige Promotion betrieben hat. Und da man die Namen mit Stein vor allem im Ausland als ähnlich wahrnimmt, kommt es dadurch bei Ausländern scheinbar öfters zu Verwechslungen. Zum Beispiel Steingraeber verkauft aus diesem Grund sowie wegen einer marktfernen Preispolitik heute mehr Instrumente im Ausland als im Inland. Wer also schon über einen solchen Mehrwert-Namen verfügt, nutzt diesen vergleichsweise bescheidenen Marketing-Vorteil.
Sich dem Markt anpassen, der auf Gestalter wartet
Die Klavierhersteller der mittlerweile noch verbliebenen Klaviermarken haben sich dem Wettbewerb insofern angepasst, als man ebenfalls Zweit- und Drittmarken im Niedrigpreissegment anbietet, die im Ausland produziert werden. Diese Klaviere tragen den Zusatz designed by... Damit aber haben die Klavierhersteller selbst den Anschein gegenüber dem Käufer quasi legitimiert, der darauf vertraut, dass Klaviere mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Ursprungsmarke am Standort dieser Ursprungsmarke hergestellt worden ist. Denn die neue Auszeichnung des designed by... wurde vom Kunden gleichwertig verstanden wie das bislang am Markt übliche Qualitätssiegel des Made in Germany für Instrumente aus Deutschland. Mit anderen Worten wird die oben aufgezeigte Strategie der Händler sowie der ausländischen Hersteller genauso von jenen Klavierproduzenten praktiziert, die sich selbst als Premiumhersteller verstehen:
Wer sich jedoch aktiv daran beteiligt, das Vertrauen als eine Basis des Marktes mit derartigen Geschäftsstrategien massiv zu untergraben, der hat kein Recht, auf andere mit dem Finger zu zeigen. So erklärt sich also, warum Ulrich Sauter zwar klagt, aber weder die eigene Branche noch die verbliebenen Partner anklagt. An dieser Stelle ist Herr Sauter ein honoriger Vorsitzender des Bundes Deutscher Klavierbauer e.V., da meines Wissens nach seine eigene Firma, die Pianofortemanufaktur Sauter, hinsichtlich Scheinmarken eine reine Weste hat. Dabei fällt mir ein, dass er sich in der Zeit, in der ich selbst noch Mitglied der Organisation der Klavierbauer war, in einem Rundbrief ausdrücklich gegen die Verwendung derartiger Scheinmarken positioniert hat.
Die Chance zur Initiative den anderen überlassen
Der Handel vor Ort blickt derweil völlig gelassen auf den Niedergang der deutschen Klavierhersteller. Schon längst hat man sich arrangiert und importiert wie z.B. Thomann selbst die Billigpianos aus China, um diese dann als Hausmarke zu verkaufen. Gerne unterstützen diese Geschäfte den Trend über das Hybridpiano zum Keyboard, der die Händler von der unangenehmen Pflicht zum Service entbindet, der die Voraussetzung dafür ist, um aus der Sicht der wie oben angeführt exklusiven Hersteller den Status eines Fach-Händlers zu erfüllen.
Muss Klavierkauf nicht geradezu ein ganz besonderes Erlebnis sein?
Ulrich Sauter begründet sein Statement, dass es den Klavierherstellern in Deutschland immer noch gut gehen würde damit, dass die Klaviere qualitativ hochwertiger geworden sind. Das würde bedeuten, dass die Industrie eingesehen hat, dass der kontinuierliche Abbau von Qualität nicht mehr zu vermitteln ist. Bravissimo rufen die Käufer und tanzen vor Begeisterung!
Aber warum hat man sich nicht längst um neue Verkaufsmodelle und Vertriebskanäle bemüht? Warum hängt man weiter an einer Partnerschaft, die sich z.B. für Seiler als tödlich erwiesen hat? Vor Seilers Insolvenzantrag waren es die Händler, die den Klavierbauer aus Kitzingen fallen ließen, da dessen Chefs nicht bereit waren, den Händlern noch größere Gewinnspannen einzuräumen. Mangelt es den Klavierherstellern an Mut oder an Phantasie oder an beidem?
Bechstein hat vor einigen Jahren ein eigenes Händlernetz über die so genannten Bechstein-Zentren aufgebaut. Dabei ging man im Prinzip wie Blüthner im internationalen Maßstab den Weg der Eigenständigkeit. Das heißt, man verkauft zwar weiterhin vor Ort, aber nicht über fremde Händler, sondern versucht die Geschäfte selbst zu betreiben.
Der Onlineverkauf als Alternative zum Verkauf vor Ort ist bei Klavieren vermutlich nicht so einfach zu realisieren. Das trifft auch auf den Onlinehandel mit Lebensmitteln zu. Dennoch beginnt sich aktuell bei der Wahrnehmung der mit Lebensmittel handelnden Firmen die Einstellung derart zu verändern, dass wir schon bald unsere Lebensmittel online einkaufen können. Im Klavierhandel wäre eine Kombination z.B. aus Direktverkauf ab Werk und Onlinehandel zumindest ein Weg, den man ohne viel Mut ausprobieren könnte. Vor allem die Firmen, die tatsächlich noch in Deutschland produzieren, die sich also genau genommen den Standort Deutschland als Luxus leisten, die könnten die Last in einen großen Vorteil verwandeln. Wenn man nämlich die Türen für die potenziellen Kunden öffnet, Werksbesichtigungen ermöglicht, mit etwas Phantasie Werksführungen zu einem aktiven Erlebnis verwandelt, um darüber im Kunden Emotionen zur Marke und somit wieder echte Kundenbindungen zu erzeugen, dann würde man aus dem Luxus einen unschlagbaren Vorteil generieren! So könnte man sich eindeutig gegenüber den Herstellern aus dem fernen Asien positionieren. Gleichzeitig könnte man über den Direktvertrieb die Preise deutlich senken und sich damit wiederum wesentlich besser gegenüber den Produkten aus Billiglohnländern aufstellen. Das angepasste Preisniveau würde die deutschen Hersteller von der Notwendigkeit entbinden, Klaviere aus der Fremdproduktion anbieten zu müssen, und man könnte vom Storytelling zur echten Markenpflege übergehen. Mit Sicherheit werden denjenigen, die neue Wege wagen, weitere Ideen einfallen, wie man einen bereits als gesättigt aufgegebenen Markt wiederbeleben kann, falls man sich die Mühe machen will. Meiner Ansicht wäre das aber jenes Signal aus der Region für die Region, auf das die Freunde der Klaviermusik hierzulande warten. Spontan fallen mir als Ideen zu alternativen Vertriebswegen und neuen Ideen im Pianomarketing ein
Dazu kommen quasi als Basis des Marketings vertrauensbildende Maßnahmen und das heißt vor allem: Transparenz, Transparenz und noch einmal Transparenz.
Sie haben schon davon gehört, dass der Porsche 911 lediglich eine Art Rennschüssel ohne Komfort ist. Aber kennen Sie auch die Luxusvariante des Rennwagens für besonders Eilige, den Porsche Panamera? Und wissen Sie, wie man dieses Traumauto individuell den eigenen Ansprüchen (und finanziellen Möglichkeiten) entsprechend ausstatten kann? Nein? Dann empfehle ich Ihnen einen Besuch der Homepage von Porsche und dort den Porsche-Online-Konfigurator!
Zu recht fragen Sie jetzt, was denn bitte der Porsche-Online-Konfigurator mit dem bislang konservativen Pianomarketing zu tun hat? Nun grundsätzlich besteht die vornehmste Aufgabe des Marketings im Wecken und Bedienen von Kundenwünschen und -sehnsüchten. Darüber hinaus geht es darum, zeitgemäße und kundenfreundliche Wege des Austauschs von Informationen im Sinne eines Dialogs zwischen der Industrie und ihren Kunden zu finden. Ein Austausch über die Bedürfnisse der Kunden gemeinsam mit den Kunden ist ja auch weitaus harmonischer als die ständigen Belästigungen durch nicht bestellte Werbung. Nur wer seine Kunden im Dialog informiert und sich an deren Wünschen orientiert, wird nachfolgend diese Kunden für seine Angebote und Einladungen gewinnen können.
Wie aber könnte die Auswahl im Klavierkonfigurator aussehen, um das Herz der Klavierspieler in den höchsten Tönen schlagen zu lassen? Erlauben Sie mir ein phantasievolles Brainstorming:
In der Zukunft ankommen kann eine Industrie erst, wenn sie zeitgemäßen Zielen folgt
Endlich kann man sich mit der eigenen Vergangenheit aussöhnen. Bereits verkaufte Klaviere sind für den Klaviermarkt keine zu beseitigende Störung mehr. Wer alte Klaviere zu Gunsten neuer Pianos schlecht redet, entlarvt sich als Kulturverächter. Sie staunen beim Lesen dieser Sätze? Sie finden es unglaublich, dass sich eine auf dem Kopf stehende Welt wieder auf die Füsse stellt?
Nun, es ist doch heute allgemein bekannt, dass die kurzen Lebenszyklen vieler Produkte lediglich dazu beitragen, den Müllberg auf der Erde zu überladen, dass die Natur den gesamten Abfall der Menschen nicht mehr verarbeiten kann, dass wir förmlich im selbst produzierten Dreck ersticken werden, wenn wir nicht umdenken. Auf der Basis des Begriffs der Nachhaltigkeit als Leitsatz für zeitgemäßes Wirtschaften, das die natürliche Regenerationsfähigkeit eines Systems als wesentliches Kriterium enthält, hat der in Deutschland weitgehend unbekannte Professor Michael Braungart das Cradle-to-Cradle-Konzept erfunden. Dieses Konzept ermöglicht es, dass Abfälle sowie eine ineffiziente Nutzung der Energie komplett vermieden werden.
In dem Zusammenhang ist es ein nahe liegender Gedanke, wenn man die bereits verkauften Pianos gerade aufgrund ihrer genau genommen erwünschten Langlebigkeit als einen neuen Markt versteht, den man mit Erweiterungen bzw. Aktualisierungen aufwerten kann, anstatt die alten Klaviere lediglich im Interesse der Neuproduktion schlecht reden oder kaputt reparieren zu müssen. Bislang hat es diesbezüglich zum einen wohl an entsprechenden Angeboten und zum anderen an Phantasie gemangelt:
Das Zentrum des Klaviergeschäfts neu definieren
Der Kern des Klaviergeschäfts findet ja eigentlich gar nicht in den lokalen Musikgeschäften statt. Dort werden zwar die recht lukrativen Zusatzgeschäfte rund um das Kerngeschäft getätigt. Aber Musik entsteht in der Musikschule bzw. am Klavier, an dem sich Klavierlehrer und Klavierschüler zu den gemeinsamen Lehr-Lern-Prozessen treffen. Hier tauscht man sich aufgrund
über das Klavierspiel und somit auch über das Instrument aus. Der nächste Gedankenschritt ist also kein utopischer Gedankensprung, wenn man den Klavierlehrer befähigt,
indem man die Klavierlehrer und Musikpädagogen über Zusatzausbildungen dazu befähigt und über den Ist-Stand aktuell informiert. Das eröffnet gleichzeitig den Dialog mit den Klavierpädagogen, und so können sich die Unterrichtenden mit ihren Vorstellungen wiederum in die Prozesse der Industrie gestaltend einbringen. Die Zusatzgeschäfte rund um das Musizieren, die man bislang als Klaviergeschäft definiert, würden selbst in einem längst aufgegebenen da gesättigten Markt wie Europa aufblühen. Denn - und hier hat Ulrich Sauter in dem Interview recht - der Klavierunterricht als das eigentliche Kerngeschäft läuft nach wie vor ziemlich rund. Aber das muss nicht so bleiben.
Wie kann man das Unmögliche möglich machen?
Wie ich in meinem Blog PianoVision ausgeführt habe, steckt die klassische Musik vor allem in Europa in einer Krise. Die Situation wird sich durch den zunehmenden kulturellen Wettbewerb auf dem Feld der Klassik weiter verschärfen. Dieser Kampf um ein großartiges kulturelles Erbe dürfte endgültig verloren gehen, wenn es der Wittgenstein-Preisträger von 2009, Professor Gerhard Widmer, am Institut für Computational Perception geschafft hat, die Kunst der menschlichen Interpretation computergerecht zu dekodieren, damit auf der nächsten Stufe des Wettbewerbs die Robotik gegen die Menschen aller Nationen antreten kann. Um die Lage zu wenden, genügen keine Einzelkämpfer sondern es braucht eine gemeinsame Anstrengung. Genauso wie zu den Zeiten, als die klassische Musik und das Pianoforte miteinander wuchsen, sind auch heute wieder alle Beteiligten gefordert, nach kreativen Alternativen und neuen Wegen zu suchen. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Um- bzw. Weiterdenkens ist in den Kreisen der Spitzenmusiker bereits vorhanden. Seitens der Politik wird die Situation insofern verschärft, als die öffentlichen Geldgeber nach all der Geldverschwendung der letzten Jahre es sich nun erlauben, den wirtschaftlichen Aspekt der Ausbildung zum klassischen Musiker kritisch zu hinterfragen und in dem Zusammenhang den Geldhahn langsam zu schließen beginnen. Diese Krise beinhaltet natürlich die Chance, die Kultur für die aktuellen gesellschaftlichen Probleme im ursprünglichen Sinn einzusetzen, und sich auch auf diesem Weg neue Möglichkeiten einer wirtschaftlich unabhängigen Existenz zu erschließen. Doch zuerst müssen Künstler, Pädagogen, Industrie und Service wieder ins Gespräch kommen. Anstelle Konkurrenz ist Kooperation gefragt. Die Musiker könnten für andere Bereiche unserer Gesellschaft beispielhaft aufzeigen, dass das Miteinander erfolgreicher als das Gegeneinander ist. Das Miteinander war eine der wichtigsten kulturellen Leistungen, die es ermöglicht hat, dass sich der Homo sapiens im evolutionären Maßstab so rasant entwickeln konnte. Letztlich könnte man einen dafür wieder notwendigen Sinn für Gemeinschaft, also den Gemeinsinn als das Element eines Gesellschafts-Marketings verstehen, da hierin die inzwischen weit verbreitete und starke Sehnsucht nach mehr Menschlichkeit Raum findet, um die sich aktuell die Kirchen auf der Suche nach sozial verträglichen Lösungen von unmenschlichen Situationen medienwirksam zu bemühen beginnen.