Contentmissbrauch. Was ist das für eine Wortschöpfung? Ist das nicht ein Missbrauch der deutschen Sprache? Nein, es ist vielmehr eine kreative Reaktion auf eine aktuelle Entwicklung. Gern will ich Ihnen an einem Ihnen vertrauten Beispiel erläutern, wie dieser Begriff entstanden ist:
Der Suchmaschinenriese Google erfindet immer wieder Kriterien, nach denen er bevorzugt die Angebote im Internet einteilt. Diese genau genommen beliebigen Bewertungen sind ausschlaggebend für das so genannte Ranking der jeweiligen Homepages. So hat Google vor kurzem erkannt, dass der Content, also der Inhalt der Homepages, das einzig Wahre ist, was die Rangordnung bestimmen sollte. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich die Bedeutung des Inhalts einer Homepage, wurde mit dem Begriff Content insofern aufgewertet, als sich damit im Zusammenhang das so genannte Content-Marketing etabliert hat.
Der Content der Homepages als Ziel von Suchanfragen wird zu einem hohen Prozentsatz missbraucht. Nämlich durch Werbung. Diese Werbung ist keine dem Thema nahe stehende Ergänzung der Inhalte, sondern dient einzig dazu, selbst Homepages ohne relevanten Inhalt zur Geldquelle zu machen. Das hat Google mit der Werbeform AdSense ermöglicht, die nämlich jeder in seine Homepage einbinden kann, um bei einem Klick darauf an den Einnahmen beteiligt zu werden. Die Belästigung durch zusammenhanglose Anzeigen wird zusätzlich durch die immer aufdringlicheren Werbeformen schier unerträglich. So wird das Lesen durch sich bewegende Werbung gestört. Von diesem Contentmissbrauch genervt greifen die Nutzer inzwischen zur Selbsthilfe, indem sie im Browser so genannte Werbeblocker installieren. Der Trend zum Selbstschutz vor Werbung geht inzwischen soweit, dass der Browser Firefox den Werbeblocker als Standard installiert. Die Belästigung soll ausgeschaltet und das Ausspionieren durch die mit den Werbeformen verbunden Verfolgerprogramme (Tracker) verhindert werden.
Nun zum Transfer des Begriffs Contentmissbrauch auf unser Thema, nämlich den Klavierservice als Dienstleister am Kunden in dessen Rolle als Klavierspieler:
Ziel der Dienstleistung: Das Produkt erhalten!
Das klassische Klavier kommt nicht ohne die immer wiederkehrende Klavierstimmung als Kernelement des Klavierservice aus. Die besondere Konstruktion sowie das natürliche Material des Resonanzbodens und damit in Verbindung stehend die wechselnden klimatischen Bedingungen führen zu einer regelmäßigen Verstimmung, die nur im Grad der Verstimmung variiert. Hierzu finden Sie in dem folgenden Artikel anschauliche Informationen: Warum verstimmt sich mein Klavier? Wie das Wort besagt, ist der Klavierservice wie z.B. die Klavierstimmung eine Dienstleistung. Das heißt, diese Tätigkeit unterscheidet sich wesentlich vom Verkauf von Produkten. Die Dienstleistung bezieht sich darauf, das bereits vorhandene Produkt zu pflegen, damit es länger erhalten bleibt. Diese Richtlinie ist die Grundlage für die steuerliche Regelung, dass man nämlich die Klavierstimmung auch bei privater Nutzung von der Steuer im Rahmen Haushaltsnaher Dienstleistungen absetzen kann, um das Klavier in seiner Funktion zu erhalten. Das ist im Interesse des Zeitgeistes, der sich aktuell von der bisherigen Wegwerf-Mentalität der Industriezeit kommend hin zur zukunftsfähigen Kreislaufwirtschaft positiv verändert. Das Ziel der Kreislaufwirtschaft, die der deutsche Professor Michael Braungart mit der kurzen Formel Cradle-to-Cradle bekannt gemacht hat, besteht darin, jeglichen Müll zu vermeiden, da alles Material wiederverwendet werden kann.
Immer wieder erfahre ich von Kunden die folgende Geschichte, die lediglich in der Ausführung leicht variiert: Ein Klavierbesitzer vereinbart mit einem Anbieter von Klavierservice einen Termin zum Klavier stimmen. Doch der bestellte Fachmann denkt gar nicht daran, das Klavier zu stimmen, sondern taxiert ganz offen den Kunden aufgrund seiner Wohnverhältnisse auf sein finanzielles Leistungsvermögen. Diese Einschätzung ist die Grundlage für das nun folgende Verkaufsgespräch alternativ zu der bestellten Dienstleistung. Der Fachmann aus unserem Beispiel versucht den Kunden dahin gehend zu beeinflussen, sich die fehlende Klavierbank bei ihm zu kaufen. Doch damit nicht genug. Das Gespräch wird nun erst richtig zu einem Verkaufsgespräch, da das Klavier ja viel zu alt und zu schlecht sei, um es noch zu stimmen. Dieser Vertreter der Zunft des Klavierservice untersucht das Klavier in Anwesenheit des Kunden, kann aber keinerlei Schaden feststellen, wie man den beiden Bildern mit freiem Blick auf den Resonanzboden und die Stege entnehmen kann. Trotzdem denkt er nicht daran, das Klavier zu stimmen, sondern beendet den Termin mit der Einladung des bislang kaufunwilligen Kunden, gemeinsam mit seinem Kind am Wochenende das Klaviergeschäft am Ort zu besuchen.
Würden Sie bei einem Unternehmen ohne Kundenorientierung kaufen?
Sie finden das Verhalten dreist? Der Ansicht bin ich auch. Es hat etwas von Erpressung. Sie fragen sich, ob diese Masche funktioniert? Offensichtlich durch gelegentliche positive Reaktionen der so verunsicherten Kunden motiviert, setzt unser Spezialist diese Methode als Standard des Verkaufsgesprächs anstelle der bestellten Dienstleistung ein. Das ist ein Fall von Contentmissbrauch mit besonders schweren Folgen, denn das Vertrauen des Kunden wird nachhaltig zerstört. Die Vergangenheit zeigt, dass als Folge eines derart fehlerhaften Verhaltens von so genannten Dienstleistern massenweise Klaviere über sehr lange Zeiträume nicht mehr gestimmt worden sind. Davon zeugen beeindruckende Hörbeispiele auf dieser Homepage. Die Menschen sind dieser Art von Klavierservice aus dem Weg gegangen, indem sie darauf verzichtet haben, Klavier zu spielen! Von dieser Art von Contentmissbrauch sind letztlich nicht nur die Klavierlehrer, sondern auch das Gesundheitssystem betroffen, da die musiksensiblen Klavierspieler zwangsläufig darauf verzichten, sich am Piano zu harmonisieren. Die Strategie der Serviceverweigerung ist ohne jeden Weitblick. Denn die Krise des Klavierbaus ist letztendlich selbst verschuldet. Als Folge eines fehlenden Service leidet natürlich der Klavierhandel und damit auch die Klavierproduktion. Immer mehr Klavierhäuser müssen aufgeben, da sie sich mit dieser Strategie selbst das Wasser abgegraben haben. Das Manko des lokalen Handels könnte zwar der Verkauf über das Internet ausgleichen. Dramatisch ist jedoch das damit verbundene Aussterben der Service für die Kultur des Klavierspiels in der Breite. Für die bereits vorhandenen Instrumente entsteht beim Klavierservice ein Engpass, da der Klavierstimmer ja beim bisherigen Geschäftsmodell das Anhängsel an die Pianohäuser war, das von den Klavierherstellern eingeforderte Aushängeschild für die Qualifikation zum Fachgeschäft. Das heißt, die Lizenz zum Vertrieb war traditionell an das Versprechen der Händler gekoppelt, für den Service beim Endkunden zu sorgen. Für die Übernahme dieser Dienstleistung war und ist die Klavierindustrie bereit, dem Klavierhandel ziemlich hohe Gewinnspannen zu gewähren. Wäre die Klavierindustrie entsprechend marktsensibel, so müsste sie nun umstellen vom Vertrieb über den Einzelhändler zum Eigenvertrieb. Im Eigenvertrieb müsste das Produkt aufgrund der entfallenden Gewinnmargen für die Händler deutlich günstiger werden. Doch wie Sie als Leser meiner Blogs wissen, ist die Klavierindustrie alles nur nicht marktsensibel. Und so übernehmen zunehmend einige Händler im bundesweiten Internetvertrieb den lukrativen Job für die trägen Klavierhersteller. Auf der Strecke bleibt der lokale und regionale Service für den Endkunden.
Welches Geschäftsmodell ist zukunftstauglich?
Unser Kunde hat sich nach diesem negativen Erlebnis über das Internet informiert. Glücklicherweise lebt er in einer guten Zeit, denn das World Wide Web bietet uns die Möglichkeit zur umfassenden Information. Dort fand er die aufschlussreichen Seiten der Klavierstimmerei Praeludio® und stellte fest, dass dieses Dienstleistungsunternehmen auch in seiner Region Klavierstimmungen anbietet. Also ergriff er seine Chance und vereinbarte einen Termin. Natürlich war er entsprechend angespannt. Seine Erwartungshaltung war negativ geprägt. Wie würde sich der Kollege des ersten Fachmanns verhalten? Würde er eine ähnlich dreiste Dienstleistungs-Missbrauchs-Strategie anwenden? Die Gefahr schien erst einmal gering zu sein. Denn Praeludio® verfolgt mit der Konzentration auf den Klavierservice das zeitgemäße Geschäftsmodell des Service vor Ort ohne Werkstatt sowie ohne Verkauf. Der Grund dafür ist nachvollziehbar: Regelmäßiger und guter Service verhindert, dass das gute Piano in die Werkstatt oder gar bereits nach wenigen Jahren durch ein neues Instrument ersetzt werden muss!
Natürlich kam ich zu diesem Termin, ohne zu wissen, dass sich erst vor kurzem ein Kollege derart negativ zu dem Instrument geäußert hatte. Da kein Klavierstuhl vorhanden war, fragte ich, auf welchem Stuhl der Kunde Klavier spielt. Es war der nächst stehende Stuhl am Wohnzimmertisch. Da ich das Wort Klavierstuhl verwendet hatte, mir jedoch ein normaler Stuhl zum Probe spielen angeboten wurde, erläuterte ich intuitiv, dass die Art des Stuhls für das Klavierspiel nicht entscheidend sei. Das beweisen eine Vielzahl von ausgezeichneten Pianisten aus Osteuropa sowie jetzt aus Asien und insbesondere aus China, die auf recht bescheidenen Instrumenten und mit Sicherheit ohne die perfekte Klavierbank viele Stunden am Klavier zugebracht haben. Mein Kommentar war aufgrund der Vorgeschichte der erste Bonus-Punkt, da ich dem Kunden mit dieser Meinung signalisierte, dass ich aus dem Vorhandenen das Beste machen wollte. Bei der Untersuchung des Klaviers kam ich zu dem gleichen Ergebnis wie vorher schon mein Kollege. Das Instrument zeigte trotz seines Alters keine Schäden. Die Verstimmung war zwar stärker als bei anderen Instrumenten, aber deswegen muss man sich kein neues Klavier kaufen, wie das Endergebnis zeigt. Hören Sie selbst:
Görs-Spangenberg-Klavier gestimmtFachleute zeichnen sich dadurch aus, dass sie schnell den Sachverhalt erkennen. So ging es dem Fachmann aus diesem Beispiel. Er kam, sah ein altes Klavier, öffnete es und fand eine Oberdämpfermechanik vor. Damit war für ihn alles klar:
Bestürzung über die schlechte Nachricht
Die Klavierbesitzer waren begreiflicherweise bestürzt. Schließlich handelte sich bei dem Piano der Marke Ibach um ein Erbstück, zu dem eine intensive Beziehung bestand. Nun sollte die nächste Generation mit Hilfe dieses Instruments an die Musik herangeführt werden. Das Spielwerk funktioniert. Der Klang ist gar nicht schlecht. Nur verstimmt ist es halt. Was kann man tun? Soll man sich einfach so von dem Piano trennen? Oder gibt es doch eine Alternative? Man erzählt von der Begebenheit im Kreis seiner Freunde und Bekannten. Was meinen andere dazu? Vielleicht wissen sie um einen Rat?
Das war doch erst vor kurzem ein Stimmer bei mir...
Tatsächlich gab es aus dem Bekanntenkreis eine Familie, die erst kürzlich ein älteres Klavier günstig erstanden hatte. Das hatte man nach Hause geholt und dann im Internet einen Klavierstimmer gesucht und gefunden. Der kam, schaute und hörte sich das Instrument genau an. Er wies daraufhin, dass aufgrund der Verstimmung sowie sichtbarer Risse die Möglichkeit besteht, dass das Klavier einen größeren Schaden hat. Aber er wollte es dennoch versuchen, das Instrument zu stimmen. Rund zwei Stunden später, war das alte Piano wieder in guter Stimmung:
Krause 392 Hertz gestimmtDavon erfuhren die Besitzer unseres 1900 von Ibach gebauten Klaviers mit der alten Oberdämpfermechanik. Sie riefen gleich bei Praeludio® an und vereinbarten einen Termin. Als ich kam, fand ich ein Instrument vor, das mir schon im verstimmten Zustand einen sehr warmen und wohl klingenden Bass ankündigte. Meine Überprüfung es Instruments ergab keinen Schaden. Die Stimmnägel saßen bis auf einen sogar relativ fest. Folglich wurde das Instrument mit der mir bestens bekannten Oberdämpfung gestimmt. Nun wird es noch weiteren Generationen dazu dienen, sich mit den Möglichkeiten der Musik praktisch auseinanderzusetzen. Hören Sie selbst!
Ibach-Oberdämpfer gestimmtWelche Mechanik ist die Beste?
Warum ist die Oberdämpfermechanik unbeliebt? Weil sie dem Stimmer mehr Arbeit macht. War das der Grund, warum man nach einer anderen Art der Dämpfung gesucht hat? Nein, es war die Tatsache, dass die Oberdämpfung im oberen Diskantbereich oftmals schlecht gedämpft hat. Dort war für den Dämpfer nur noch wenig Raum und die Dämpfung befand sich sehr nah am Rand der klingenden Saite manchmal sogar auf dem Rand, also nur noch zum unzureichenden Teil auf den Saiten, die gedämpft werden sollten. Es bestand die Absicht, die Dämpfung in Ihrer Funktion zu verbessern. Daher positionierte man die Dämpfer unterhalb des Hammers in Richtung der Saitenmitte. Dadurch erreichte man auch im Diskant eine bessere Dämpfung.
Gab es keine Nebenwirkungen? War diese Entwicklung ausschließlich von Vorteilen geprägt? Nein. Die Spielart veränderte sich. Bei Klaviermechaniken mit einer Oberdämpfung werden im Prinzip wie beim Flügel nur Gewichte bewegt. Das Bewegungsmuster, Gewichte im Schwerkraftfeld der Erde zu bewegen, ist uns bekannt, seit wir geboren wurden. Daher empfinden wir es als authentisch. Bei der damals neuen Klaviermechanik mit der Unterdämpfung werden die Dämpfer jedoch mittels Federn gegen die Saiten gedrückt. Das heißt, wenn man einen Ton anschlägt, muss man nicht nur die Gewichte der Mechanik sondern auch die Federkraft der Dämpfung überwinden. Da sich Federkräfte grundsätzlich vom Anheben von Gewichten im Schwerkraftfeld der Erde unterscheiden, erleben wir in den modernen Klavieren oftmals eine zähe Spielart. Sie ist vergleichbar mit der Spielart eines Keyboards, da man bei dem elektronischen Tasteninstrument mangels einer physischen Mechanik ausschließlich gegen Federkräfte arbeitet. Das Keyboard wird aber von den traditionellen Klavierspielern zum einen wegen des früher noch schlechteren elektronischen Klangs sowie wegen dem mit dieser Spielart verbundenen schlechteren Empfinden im Vergleich zum Klavier als minderwertig ausgemustert. Dabei gibt es zwischen Keyboard und dem Klavier mit einer Unterdämpfermechanik hinsichtlich des Spielgefühls tendenziell eher Gemeinsamkeiten, die man jedoch aufgrund der Wiederholung von Glaubenssätzen aus früheren Zeiten nicht realisiert. Und selbstverständlich wird die geradezu peinliche Thematik von den eigentlichen Klavierbauern, nämlich den Herstellern von Klaviermechaniken, nicht thematisiert!
Warum macht nun Praeludio® die Unterschiede des für alle musiksensiblen Menschen wichtigen Spielgefühls der beiden Klaviermechaniken mit Ober- bzw. Unterdämpfung zum Thema? Da sich einzelne Klavierbauer genau genommen bis heute immer wieder damit beschäftigt haben, wie man die Spielart und vor allem die Leistung der höheren Anschlagshäufigkeit im Flügel mit einer Repetitionsmechanik im Klavier entsprechend anpassen im Sinne von verbessern kann. Hier gibt es im Prinzip zwei Musterlösungen zu vermelden:
Wenn die technischen Lösungen aus Deutschland eine höhere Anschlagshäufigkeit ermöglichen, dann im Wesentlichen aufgrund einer entsprechend konstruierten Klaviermechanik, bei der sich nach dem Loslassen der Taste als erstes Teil des Spielwerks die Stoßzunge bewegt und zwar wieder unter den Klavierhammer, von dem sie sich zuvor im Idealfall gar nicht erst weit entfernt hat. Verhindert wird eine erhöhte Anschlagshäufigkeit zum Beispiel bei den Instrumenten von Sauter sehr oft durch eine schwer gängige Klaviatur.
Die im Vergleich zum Flügel einzige echte da identische Lösung einer hochleistungstauglichen Repetitionsmechanik für das aufrecht stehende Klavier heißt daher Vertical Action und stammt von Fandrich aus USA. Diese technische Lösung der optimalen Klaviermechanik wäre der Stand der Technik, von dem aber kaum einer meiner Kollegen weiß, da er eben weder von den Mechanikherstellern noch von der Klavierindustrie verfolgt wird - obwohl die Vertical Action im Auftrag von Fandrich bei Renner in Deutschland hergestellt wird.
Doch wir gingen ja oben von den Unterschieden im Spielgefühl zwischen der Oberdämpfer- und Unterdämpfermechanik aus. Im Zusammenhang mit einem verbesserten Spielgefühl fällt mir nur der Name des holländischen Erfinders Hans Velo ein. Er hat sich wiederum mittels Magneten darum bemüht, das Spielgefühl an der Flügelmechanik zu individualisieren (MFR = Magnetic Friction Reduction), sowie damit verbunden die Spielkontrolle zu optimieren. Auf den Gedanken, das Spielgefühl der Klaviere mit Unterdämpfung durch den Wechsel von Federn zu Magneten deutlich zu verbessern, ist meines Wissens nach bislang noch gar niemand gekommen. Doch das wären die relevanten Aufgaben für eine von massiven Umsatzrückgängen betroffene Klavierindustrie. Allerdings bräuchte es dazu die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf die Resonanzen der Klavier spielenden Kunden einzulassen. Aber das ist ja das genaue Gegenteil jener Praxis, von der ich in diesen Fallbeispielen berichte.
In unserer heutigen Welt sind die Familien oftmals über weite Entfernungen verstreut. Wenn man dann der Oma zu Weihnachten ein besonderes Geschenk machen will, braucht es eine gute Idee. Unsere Großmutter ist 83 Jahre und ihre Leidenschaft ist das Klavierspiel. Da freut man sich bei der Recherche aus dem Ausland, wenn man einen Klavierstimmer in der Nähe findet, der das Geschenk mittels eines Gutscheins ermöglicht. Weihnachten ist gerettet!
Der Termin ist vereinbart. Ja, sogar der Termin hat noch vor Weihnachten geklappt. Es kann also nur gut werden, das Projekt der Guten Stimmung! Doch vor der Arbeit kommt die Analyse. Unser Klavier wurde 1908 gebaut. Es ist bereits ein moderner Kreuzsaiter mit der so genannten Unterdämpfung. Doch wie ist der Zustand?
Der Zustand ist äußerst bedenklich. Der Augenschein verrät mir, dass dem Klavier schon einige Kollegen einiges angetan haben, während sie anderes gelassen haben:
Und was sagt das Ohr? Das Probespielen überrascht mich nicht. Es bestätigt die visuelle Analyse. Zahlreiche Einzeltöne sind in sich stark verstimmt. Es handelt sich um so genannte kritische Töne, die weitere Schäden im Stimmstock vermuten lassen. Darüber hinaus ist das Klavier in sich relativ stark verstimmt, wenn man auch noch eine gewisse Struktur erkennen kann.
Wie gut wird wohl die Stimmung werden?
Aufgrund der Analyse per Auge und Ohr frage ich mich, wie gut wohl das Ergebnis sein wird? Kann ich den Kampf mit dem Zahn der Zeit gewinnen? Oder muss ich an irgendeiner Stelle aufgeben? Die Analyse geht in die nächste Runde. Ich suche mit dem Frequenzmessgerät nach der Tonhöhe, die das Piano in seinem Zustand schont. Dann teste ich alle kritischen Töne manuell. Wie locker sitzen die Stimmnägel? Um wie viel lässt sich der Halt durch entsprechende Maßnahmen verbessern? Wird es ausreichend sein, oder muss ich zu noch intensiveren Maßnahmen greifen, um ein halbwegs tragbares Ergebnis erreichen zu können? Sie merken schon: Um dieses Ergebnis muss man kämpfen! Gute Stimmung ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Zu diesem Kampf bin ich bereit und mache mich nach den Vorarbeiten auf den Weg. Ton für Ton, Saite für Saite versuche ich all die anstehenden Hindernisse zu überwinden.
Die Stimmhaltung als Kriterium?
Die Großmutter sitzt die ganze Zeit neben mir und beobachtet meine Bemühungen. Nachdem ich schon eine Weile am Stimmen bin und sie den Eindruck bekommen hat, dass ich mich tatsächlich um das Erreichen des Ziels bemühen will, sagt sie ganz kurz, dass schon einmal eine Kollege eines renommierten Klavierherstellers vor Ort da war, der aber zu dem Schluss gekommen sei, dass es sich nicht lohnen würde, das Instrument zu stimmen.
Das finde ich interessant. Natürlich ist es nachvollziehbar, wenn man die Vermutung hat, kein ausreichend gutes Ergebnis erreichen zu können, es gar nicht erst zu versuchen. Schließlich kostet der Versuch ja Zeit und Geld. Doch auch das Gutachten kostet Geld. Das lässt mich danach fragen, worum es beim Klavierservice überhaupt geht? Wessen Diener ist der Dienstleister? Ist es nicht häufig das Klavierhaus, dessen Interessen der Dienstleister vorrangig vertritt? Und liegen dort die Interessen offensichtlich eher beim Verkauf von neuen Instrumenten als beim Erbringen der vom Kunden erwünschten Dienstleistung?
Klavierservice ist nach der Definition von Praeludios Firmenphilosophie ein Schlüsseldienst für musiksensible Menschen. Das heißt, die gute Stimmung ist ein Dienst am Menschen. Denn mit der guten Stimmung kann der Mensch am Klavier sich selbst harmonisieren. Er kann sich Erfolgserlebnisse abholen und sich selbst die für die psychische Gesundheit eminent wichtige Selbstwirksamkeit beweisen. Denn gut gestimmt, wird er öfters spielen und damit verbunden immer besser werden. Gepaart mit dem guten Klavierklang hat der Mensch die Möglichkeit zur umfassenden Musiktherapie, die er nicht erst einsetzt, wenn er krank ist, sondern er beugt dem Krank werden aktiv vor! Diese großartige Eigenleistung ist die Basis für die mittlerweile weite Verbreitung des Musizierens. Denn aus Sicht der Evolution, die ja angeblich nur nützliche Eigenschaften auswählt und vermehrt produzieren lässt, ist Musik überflüssig. Dabei wissen wir heute, dass Musik ganzheitlich wirkt. Das Potenzial der Musik reicht von der Musiktherapie bis hin zur Förderung der Kreativität! In diesem Sinn sollte sich der Klavierservice um den Menschen bemühen. Das Klavier ist ein Instrument. Das heißt übersetzt ein Werkzeug. Ein guter Service soll verhindern, dass ein Klavier in einen derart schlechten Zustand gerät. Doch dann muss man aufgrund der Analysen diesen Zustand vermitteln, damit die Klavierspieler sich entsprechend orientieren können. Es gibt immer wieder wunderbare gebrauchte Klaviere oder auch vergleichsweise günstige Alternativen, wenn es um eine größere Instandsetzung geht.
Information als Teil der Dienstleistung
Meine Bemühungen wurden belohnt. Aber es ist zu vermuten, dass sich zumindest einzelne Töne schneller verstimmen können. Weihnachten ist gerettet. Aber dauerhaft ist das keine Lösung. Zu dieser für den Kunden wesentlichen Information kann man nach erbrachter Serviceleistung kommen. Dann obliegt es dem Kunden, ob er die schnellere Verstimmung in Kauf nimmt, um eben in kürzeren Intervallen den Klavierservice zu beanspruchen, oder ob er über längere Intervalle Freude am Klavierspiel haben will.
Irmler-Piano gestimmtWarum ignorieren Dienstleister einfach den Markt?
Bundesweit erreichen mich als Folge dieses Blogs Nachrichten, dass es sich mit der Serviceverweigerung gegenüber alten Klavieren um einen Trend handelt. Wer es gewohnt ist, einen Schritt weiter zu denken, dem wird sofort der Gedanke kommen, dass sich diese Dienstleister nicht auf dem Markt halten können, denn sie offenbaren sich als Kultur-Totengräber. Die Folgen des eigenen Handelns drückt sehr gut ein Zitat von Gregory Bateson aus dem Buch Die Ökologie des Geistes aus: Das Lebewesen, das im Kampf gegen seine Umwelt siegt, zerstört sich selbst. Die Frage ist nämlich, wo denn bitte die Grenze von nicht mehr servicefähigen Klavieren liegt:
Wie naiv sind diese so genannten Fachleute, wenn sie glauben, dass der Markt ein derart mieses Spiel zulassen würde, das jegliches Vertrauen in den Fachmann zerstört.
Doch Halt! Was wäre denn, wenn die Kunden tatsächlich keine Alternative hätten, weil es sich um eine lückenlose Verschwörung des Service handelt? Würden die Besitzer von älteren Klavieren dann tatsächlich in den sauren Apfel beißen, und sich ein neues Klavier kaufen? Oder würde sich dieser quasi abgeschriebene Markt einfach neu orientieren und z.B. das Singen als die kostenlose und servicefreie Alternative entdecken und wertschätzen lernen? Hersteller von Musiksoftware wie die renommierte Firma Steinberg, übrigens ein Tochterunternehmen von Yamaha, scheinen diesen Trend bereits zu antizipieren. Denn deren Software Cubase bietet Ihnen die Möglichkeit, Gesang aufzunehmen und diesen anschließend mit bestimmten Instrumentensounds zu belegen. Auch in der Musik könnte somit eine Art von Sprach-Steuerung die Zeitenwende einläuten, indem sie das Erlernen von Musikinstrumenten überflüssig macht. Einen derartigen Trend unterstützen Serviceverweigerer ebenso wie die Hersteller von überteuerten Pianos. Mit anderen Worten: Klavierhersteller und Klavierservice sitzen in dem gleichen Boot, das sie durch ungeeignete Maßnahmen zum Kentern bringen. Handelt es sich hier möglicherweise um die Vorwegnahme des scheinbar unausweichlichen Endes und somit um eine Art kollektiven Selbstmord? In diesem Fall empfehle ich den Betroffenen, die zeitgemäßen Hilfen der Neurolinguistischen Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, um über ein Reframing, ein Umdeuten der Situation neuen Lebensmut schöpfen zu können. Das bedeutet konkret, die Chancen in der Vielfalt des bestehenden Marktes zu finden, indem man die Grenzen der aktuellen Möglichkeiten konstruktiv auf Schwachstellen durchleuchtet. Eine die Potenzialentfaltung des Musikers ermöglichende Perspektive beschreibe ich in meinem Blog Pianomotions, Gefühle brauchen Spielraum.
Als ich noch Mitglied im Bund Deutscher Klavierbauer war und daher auf Fortbildungen noch öfters Kollegen persönlich getroffen habe, ist mir ein derartiger Trend nicht bekannt geworden. Daher gehe ich davon aus, dass es immer noch zahlreiche Kollegen gibt, die nicht schon bei der telefonischen Anfrage für den Service eines alten Klaviers Zweifel an der eigenen Kompetenz bekommen und letztlich aus dem Grund des Unvermögens den Service verweigern.
Besitzer von alten Klavieren, die außerhalb meines Einzugsbereichs leben, verweise ich der Vollständigkeit halber auf mein Angebot, zu lernen, wie man sein Klavier selber stimmt. Hier finden Sie alle Informationen zum Praktikum Selberstimmen, das die Klavierstimmerei Praeludio® bundesweit anbietet!